Thieme: Was ist Altruismus?

07.03.2008

Was ist Altruismus?
Erläuterungen aus spieltheoretischer Perspektive

von
Sebastian Thieme
sthieme[at]tiscali.de

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((0)) Einleitender Hinweis: Dieser Text soll in knappen Zügen vorstellen, was unter altruistischen Handlungen verstanden werden kann und wie sich diese erfassen lassen. Grundlage für diese Ausführungen ist eine Hausarbeit, die ich 2005 zum Thema „Reziprozität in Arbeitsverhältnissen“ schrieb und aus der ich relevante Stellen hier eingearbeitet habe. Daher mag das alles nicht mehr ganz „up to date“ sein, an den grundsätzlichen Erkenntnissen wird sich m.E. aber nicht viel geändert haben.

[A] Das Ultimatumspiel[1]

Ultimatumspiel

((1)) Bei diesem Spiel gibt es einen Akteur A, welcher über eine bestimmte Projektsumme c bestimmen soll. Von dieser Summe kann A einen Teil b an einen anderen Spieler B abgeben. Wenn B das Angebot von A ablehnt, dann erhalten beide nichts. Akzeptiert B das Angebot, dann erhält B die Zahlung b und A einen Nettobetrag (c-b). Wird rationales Handeln unterstellt, akzeptiert B jedes positive Angebot von A, da eine Ablehnung zu einer Zahlung von Null führt. A würde daher einen minimalen, aber positiven Betrag e anbieten (es gilt also 0 < e << c).

Bild 1: Ultimatumspiel.

[B] Begriffe: Reziprozität und Altruismus

[B.1] Reziprozität, Fairness / Gerechtigkeit und Vergeltung

((2)) Mit Reziprozität ist das Prinzip der Gegenseitigkeit gemeint, d.h. wechsel- bzw. gegenseitiges Handeln. Entsprechend besitzen oder bilden Personen bestimmte Erwartungen an das Handeln ihrer Mitmenschen. Aus soziologischer Sicht ist dies maßgeblich für eine Vertrauensbildung, was insbesondere ethnologische Studien (z.B. von Mauss) belegen.[2] Ferner ist in positive und negative Reziprozität zu unterscheiden: Auf eine positive Reaktion erfolgt eine positive Antwort, auf eine negative Reaktion folgt eine negative Gegenreaktion (Bestrafung / Vergeltung).[3] Institutions-ökonomisch kommen darin u.a. die moralischen Vorstellungen über Gerechtigkeit bzw. Fairness zum Ausdruck.

[B.2] Altruismus

((3)) Altruistisches Handeln wird oft mit Selbstlosigkeit oder Uneigennützigkeit gleichgesetzt; andere sehen Altruismus verstärkt als Gemeinwohlorientierung.[4] Auf Altruism.org findet sich dieser Begriff wie folgt konkretisiert:

„ 1. Loving others as oneself.
   2. Behaviour that promotes the survival chances of others at a cost to ones own.
   3. Self-sacrifice for the benefit of others“.

Und ferner führt Altruism.org aus:

„Altruists choose to align their well-being with others - so they are happy when others thrive, sad when others are suffering. Essential in establishing strong relationships, most societies acknowledge the importance of altruism within the family. By motivating cooperation rather than conflict, it promotes harmony within communities of any size“.

((4)) Aus spieltheoretischer Sicht denke ich, dass der Altruismus darin Ausdruck findet, unabhängig von eigennützigen Zielen und Ergebnissen zu handeln – und zwar auch unter Inkaufnahme von Kosten. Im Gegensatz dazu: Bei der Reziprozität kann ein positives Handeln in Erwartung einer nutzenstiftenden Reaktion motiviert sein (und ist somit nicht mehr selbstlos). In diesem Sinne findet sich bei Wikipedia (2008c) auch der Begriff „Reziproker Altruismus“, wonach eine Entscheiderin einer anderen hilft, damit ihr selbst geholfen wird. In der Praxis wird sich deshalb nicht ganz einfach unterscheiden lassen, ob jemand reziprok oder altruistisch handelt: Gerade hinsichtlich wiederholt auftretender Situationen und der Möglichkeit, Reputation aufzubauen, kann sich eine zunächst als „altruistisch“ eingestufte Handlung später als „reziprok“ entpuppen. Insofern können Altruismus und Reziprozität auch „verschwimmen“. Um die beiden Begriffe der Sache nach zu unterscheiden, halte ich die eben von mir aufgestellte Altruismus-Definition aber dennoch für hilfreich.

[C] Altruismus im Experiment

Drei-Personen-Ultimatumspiel

((5)) Recht anschaulich lässt sich altrusistisches Handeln im Experiment von Fehr/Fischbacher (2003) zeigen: Anhand des sogenannten Drei-Personen-Ultimatum-Spiels. Zusätzlich zum „normalen“ Spieldesign für zwei Spieler kam eine dritte Person – Spieler C – hinzu; dieser Spieler C konnte keine Einkünfte von den anderen Spielern beziehen, war aber in der Lage, Spieler A zu beobachten. Ausgestattet mit einem eigenen Einkommen, durfte Spieler C einen Betrag p ausgeben, um ein „unfaires Handeln“ des Spielers A zu bestrafen. Absolut rationale und ichbezogene C-Spieler würden keine Bestrafung aussprechen. Spielen aber Vorstellungen von Gerechtigkeit bzw. Fairness eine Rolle, dann wird Spieler C die Bestrafungsoption nutzen. Zudem wäre eine solche Bestrafung altruistisch, weil Spieler C nichts von seinen Mitspielern erwarten kann; außerdem schmälern die Bestrafungskosten k(p) das eigene Einkommen – es käme damit also auch eine Opferbereitschaft zum Ausdruck. Das erwähnte Experiment zeigte nun, dass 55% der C-Spieler bestraften, wenn Spieler A weniger als 50% seines Einkommens an Spieler B abtrat; ferner: Je niedriger die Beträge an B waren, desto stärker fiel die Bestrafung aus. Weiterhin zeigte sich, dass zwischen 70% und 80% der B-Spieler die Bestrafung eines unfairen Verhaltens erwarteten.

((6)) Hinweis: Mit der hier beschriebenen „dritten Person“ soll ausgeschlossen werden, dass die entsprechende Entscheiderin von ihren Handlungen in irgend einer Weise zukünftig profitieren kann – es ist also nicht möglich, dass sich C später einmal in der Rolle von A oder B befindet. Ein solches Problem könnte auftreten, wenn diese Spiele unter veränderten Rollen und zumal auch noch mit mehreren Sequenzen durchgeführt werden. Eine andere Möglichkeit, genau das auszuschließen, bietet sich in sogenannten „one shot games“, d.h. das Spiel wird nur ein einziges Mal durchgeführt. Diesbezüglich und in Anlehnung auf Irlenbusch/Sliwka (2003) wären bei Mehrsequenz-Spielen vor allem die letzte Spielsequenz interessant.[5]

Bild 2: Drei-Personen-Ultimatumspiel.

Abkürzungen

A, B Spielparteien; i.d.R. fungiert A als "proposer" und B als "responder"
C Beobachtende Strafpartei C im Drei-Personen-Ultimatumspiel.
b Das Angebot, welches A an B richtet.
c Die Summe, welche in einem Experiment insgesamt verteilt werden kann; in manchen Fällen auch das Einkommen einer Spielerpartei.
d Das Einkommen der „dritten Partei“ im Drei-Personen-Ultimatumspiel.
k(p) Kosten der Bestrafung für die strafende Partei im Drei-Personen-Ultimatumspiel.
p Strafbetrag, um den das Einkommen von A im Falle einer Bestrafung geschmälert wird.

Anmerkungen

[1] Angelehnt an Fehr/Schmidt (1999b) S. 825 sowie Wikipedia (2008d).

[2] Vgl. Wikipedia (2008a).

[3] Zur positiven und negativen Reziprozität siehe Fehr/Gächter (2000), S. 1f.

[4] Vgl. Wikipedia (2008b).

[5] Vgl. Irlenbusch/Sliwka (2003), S. 10.

Literatur

Altruism.org (2008), What Is Altruism?, im Internet unter: http://www.altruists.org/about/altruism/ (Stand: 05.01.2008).

Fehr, E. / Fischbacher, U. (2003), „The nature of human altruism“, Nature, Vol. 425, S. 785-791.

Fehr, E. / Gächter, S. (2000), Fairness and Retaliation: The Economics Of Reciprocity, CESifo Working Paper No. 336.

Fehr, E. / Schmidt, K. M. (1999), „A Theory Of Fairness, Competition And Cooperation“, The Quarterly Journal of Economics, Vol. CXIV, Iss. 3, S. 817-868.

Irlenbusch, B. / Sliwka, B. (2003), Transparency and Reciprocal Behavior in Employment Relations, Discussion Paper No. 887, Institute for the Study of Labor (IZA), Bonn.

Wikipedia (2008a), Stichwort: Reziprozität (Soziologie), im Internet unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Reziprozit%C3%A4t_%28Soziologie%29 (Stand: 05.01.2008).

Wikipedia (2008b), Stichwort: Altruismus, im Internet unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Altruismus (Stand: 05.01.2008).

Wikipedia (2008c), Stichwort: Reziproker Altruismus, im Internet unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Reziproker_Altruismus (Stand: 05.01.2008).

Wikipedia (2008d), Stichwort: Ultimatumspiel, im Internet unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Ultimatumspiel (Stand: 05.01.2008).




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