Thieme, Seminarbericht und Kritik 4. Stufe

Reflexionen zu Grundlagen und Selbstverständnis der Ökonomie
Persönlicher Seminarbericht WS 2007 / 2008 zu Peter Ulrichs Hauptartikel
„Integrative Wirtschaftsethik: Grundlagenreflexion der ökonomischen Vernunft“

von
Sebastian Thieme
sthieme[at]tiscali.de

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Das Seminar: Primat der Selbstorganisation

((1)) Zuvorderst will ich anmerken, dass ich schon im SS 2006 ein Erwägungsseminar besuchte, welches sich mit einem Hauptartikel von Ulrich Witt zur Frage „Ist wirtschaftliche Evolution theoriefähig?“ befasste. Ich schreibe das, weil jenes Seminar etwas anders verlief und andere Methoden ausprobierte: Konkret wurden Erwägungstafeln und Synopsen aufgestellt sowie Darstellungen entworfen. Ferner war es unser damaliger Anspruch, alle der über 30 Kritiken zu „rezensieren“, was wir auch schafften, dafür aber die Replik vernachlässigen mussten. Letzten Endes herrschte im Seminar selbst Unzufriedenheit darüber, zu wenig Zeit gehabt zu haben und zu keinem wirklichen „Ende“ gekommen zu sein. Zum Schluss durften wir dann persönliche Seminarberichte, wie diesen hier, verfassen. Besonders interessierte TeilnehmerInnen des Seminars nahmen im darauf folgenden Semester die Möglichkeit wahr, mit der Arbeit an einem großen Seminarbericht das alte Seminar dann zu einem (vorläufigen) „Ende“ zu bringen.

((2)) Das Erwägungsseminar im Wintersemester 2007 / 2008 unterschied sich dagegen in einigen grundlegenden Dingen. Aus meiner Sicht gab es z.B. nicht den Versuch, auf Biegen und Brechen alle Kritiken zu behandeln, was meiner Meinung nach eine entspanntere Beschäftigung mit einzelnen Kritiken ermöglichte. Ferner gab es auch eine andere Struktur: Statt einer Kursleiterin gab es zwei Kurs leitende Personen und mit einem „Punktesystem“ sollte den normalerweise sehr ökonomisch-rational agierenden StudentInnen ein Anreiz gegeben sein, ihre zeitlichen Präferenzen und Ressourcen mit dem Anspruch und Engagement eines Erwägungsseminares in Einklang zu bringen.[1] Letzteres gelang ob der nicht ganz homo-oeconomischen Einstellungen nur bedingt: Eine Reihe von StudentInnen war gar nicht an einem Leistungsnachweis interessiert, so dass dieses Anreizsystem für jenen Fall schlicht versagte. Dies ist aus meiner Sicht deshalb ein Problem, weil sich gleichzeitig das Interesse an aktiver „Schreibarbeit“ doch stark in Grenzen hielt. Aus meiner Sicht ist es schon ärgerlich, dass nur wenige studentische Protokolle existieren, die Protokolle also fast nur von der EVOECO-Redaktion verfasst sind und dass es von der Behandlung der Kritiken keine Aufzeichnungen gibt. Möglicherweise wäre es deshalb zukünftig besser, wieder mit Erwägungssynopsen zu arbeiten, in welche sich die Kritiken einordnen lassen, um zumindest ein Ergebnis dieser Seminararbeit in den Händen zu halten. Denn genau das ist ein großes Problem: Wie sollen wir sonst darstellen, zu was es der Erwägungsprozess gebracht hat? Es gab interessante Diskussionen, Probleme und Fragen, die immer wieder auftauchten. Nur, wenn es keine Aufzeichnungen darüber gibt, sind sie nicht mehr als unterhaltsame Minuten gewesen!

((3)) Zugegebenermaßen hat die Bereitschaft, etwas zu schreiben, am Ende des Seminares zugenommen: Es existeren so zwei Texte zu Homann. Dies ist sehr löblich und weist zugleich auf eine weitere Neuheit hin: Ergänzend zum Material von EWE wurden „externe“ Texte hinzugezogen, die zwar stark zur Thematik des Seminars passten, gleichwohl aber nicht im direkten Erwägungszusammenhang zum Hauptartikel standen. An dieser Stelle emanzipierte sich das Seminar insoweit, als dass hier freiwillig und selbständig eine Problematik vertieft und faktisch zu einem zentralen Gegenstand des Seminares erhoben wurde. Hieraus entsteht zwar das Problem, wie mit solchen externen Texten umzugehen ist. Andererseits war die motivierende Wirkung unverkennbar: Denn wie sonst sollten sich die zwei schriftlichen Kritiken zum Homann-Text erklären lassen?

((4)) Ein weiteres für mich „neues“ Element, war die Phänomenenliste: Diese sollte verschiedene „Phänomene“ darstellen, mit denen sich Kritiker und Autor befassten. Aus meiner Sicht ein interessantes Analysemittel, aber meinem Gefühl nach spielte diese Liste im Seminar selbst keine wirklich tragende Rolle. Für meinen Geschmack müsste diese Liste auch evolutorisch sein, so, wie es die Erwägungssynopsen beim Verfassen des oben erwähnten Seminarberichtes (SS 2006) waren.

((5)) Abschließend möchte ich anmerken, dass das Erwägungsseminar im WS 2007 / 2008 wieder interessant war, aber meines Erachtens hätte noch engagierter verlaufen können. Vielleicht ergibt sich ja das Interesse, an den bestehenden Themen weiter zu arbeiten. Das EVOECO-Projekt ist ja genau dafür ausgelegt. Nichtsdestotrotz war auch dieses Seminar eine bereichernde Erfahrung, bei der wieder viel zu lernen war. Dass nicht alle Kritiken behandelt und auch die Replik vernachlässigt wurde, mag zwar ein bedauerlicher Umstand sein. Aber dies wird aus meiner Sicht durch den bemerkenswerten Umstand kompensiert, dass das Seminar selbst die Gewichtung des Lernthemas festlegte und für einen ganz bestimmten Schwerpunkt öffnete. Als weiterhin positiv erachte ich die Unterstützung durch das EVOECO-Projekt sowie die Möglichkeit, einen persönlichen Seminarbericht zu verfassen. Zum Schluss: Hervozuheben ist wieder einmal das besonders offene Diskussionsklima auf Augenhöhe.

Ökonomismusvorwurf, Immunisierung und „Was ist Ökonomie?“

((6)) Das Thema von Peter Ulrich traf bei mir schon deshalb offene Ohren, weil er viele Dinge ansprach, die mir während meines Studiums begegneten und welche mich als damaligen Studenten der Volkswirtschaftslehre oft auch an meiner eigenen Disziplin (ver-) zweifeln ließen. Sein Ökonomismusvorwurf scheint durchaus berechtigt, insbesondere in der Zuspitzung des „ökonomischen Imperialismus“, denn ökonomische Modellierungen finden sich z.B. auch in der Ethnologie. Gleichwohl muss ich hier leider auch den Kritikern zustimmen, die meinen, dass Ulrich möglicherweise auf einen Pappkameraden einprügelt. Denn erstens geht Ulrich wenig auf die Geschichte und Modellierung des Homo Oeconomicus (HO) ein und zweitens macht er genau jenen Fehler, den faktisch auch seine Gegner – insbesondere in Anwendung der ökonomischen Modellierungen – machen: Es finden sich kaum bis gar keine Angaben zu den impliziten Bedingungen, unter denen ein HO funktioniert. Wenn z.B. Homann in seiner Rede vor dem Bundesverband der Banken meint, dass Marktwirtschaft die beste Form wäre, Wohlstand zu fördern, so ist ihm zuzustimmen: Wenn er einen perfekten Markt, d.h. mit vollständigen Informationen, ohne Transaktionskosten, unter Vernachlässigung des Faktors Zeit usw. voraussetzt.[2] Es wird also oft ein Wettbewerb unterstellt, der implizit aber eigentlich ein „Modellwettbewerb“ ist. Aber welche argumentative Kraft würde eine Forderung nach „mehr Markt“ entfalten, wenn sich dahinter doch nur ein Marktmodell unter spezifischen Bedingungen verbirgt?

((7)) Ein weiteres Problem, welches damit eng verbunden ist, findet sich in der Annahme des Homo Oeconomicus selbst. Zum Beispiel mag der Kritik von Weimann (2000) auf dem ersten Blick zuzustimmen sein, wonach Ulrich eine Reihe von Ökonomen vernachlässigt hätte, die sich eben mit abweichendem HO-Verhalten beschäftigen.[3] Die sogenannte Verhaltensökonomik, auf die Weimann verweist, versucht z.B. „altruistic punishment“ und Reziprozität zu modellieren.[4] Allerdings ist es schwierig, die Ursachen für das entsprechende Verhalten auszumachen. Und außerdem liegt diesen abweichenden Modellen wieder eine Nutzenfunktion zu Grunde, in die hauptsächlich monetäre Größen und ein bestimmtes Rationalitätskalkül einfließen.[5] Interessant ist der Verweis von Weimann (2000) allerdings trotzdem, da die Experimente der Verhaltensökonomik zeigen, dass der Mensch sowohl abweichend als auch in Übereinstimmung mit dem HO handelt. Interessant ist aber noch ein anderer, im Bezug auf Ulrich, viel wichtigerer Punkt: Es lässt sich zeigen, dass wirtschaftlich relevante Handlungen von Gerechtigkeitseinstellungen getragen sind. Mit anderen Worten: Wer wirtschaftliches Handeln modellieren möchte, wird auch in Wettbewerbssituationen soziale Präferenzen zu beachten haben.

((8)) Eine solche soziale Präferenz wurde auch im Seminar rege diskutiert: Der Altruismus. Gibt es ihn oder gibt es ihn nicht? Ist Altruismus möglicherweise auch nur „verdeckter Eigennutz“, der darauf abziehlt, irgendwann in ferner Zukunft einmal seine „guten Taten“ belohnt zu bekommen?[6] Ist altruistisches Handeln also letztendlich doch wieder rational und eigennützig? Genau das war auch Gegenstand des Erwägungsseminars. Wenngleich im Seminar von mir vorgetragen wurde, was unter Altruismus – im verhaltensökonomischen Sinne – zu verstehen ist, kamen unter den Teilnehmerinnen laute Zweifel an der allgemeinen Existenz von Altruismus auf: Letztlich kann niemand genau wissen, ob jemand tatsächlich altruistisch oder eben doch rational handelt. Just dieser Punkt deutet auf eine Frage hin, die mir seit Anfang des Seminars durch den Kopf ging: Besitzt der HO mit seiner Rationalitätsannahme eine immunisierende Wirkung?

((9)) Damit ziele ich darauf ab, dass sich letzten Endes alles irgendwie als Eigennutz maximierendes Verhalten interpretieren lässt. Wer sich z.B. über ein hohes Einkommen definiert und damit von anderen abgrenzt, wird sicherlich mit der Maximierung seines Einkommens auch seinen Nutzen maximieren. Andere erfahren ein Einkommen, welches deutlich über einem (subjektiv empfundenen) Durchschnittseinkommen liegt, als Nutzeneinbuße: Hier ist der Nutzen maximiert, wenn das Einkommen eben nicht über dem Durchschnittseinkommen liegt. So oder so ähnlich lässt sich dann jedes Verhalten als „rational“ interpretieren und als Nutzen maximierend darstellen. Die Grundannahme, die dahinter steckt, dass der Nutzen maximiert wird, ist somit immer richtig. Unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten liegt das Problem darin, dass sich diese Annahme nicht widerlegen lässt. Sie ist noch nicht einmal kritisierbar, weil Nutzen und Nutzenmaximierung immer „irgendwie“ vorhanden sind. Welchen Wert hat dann aber eine solche (Rationalitäts-) Annahme?

((10)) Eine andere Frage ist, ob Menschen überhaupt rational „zu Ende“ denken. Im oben erwähnten (rationalen) Altruismus, wie er von Teilen des Seminars verstanden wurde, führt dies praktisch zu einer Zuspitzung: Der Mensch selbst wäre dann nicht nur ein Nutzenmaximierer, sondern er wäre auch gleich derartig rational (und allwissend?), dass er auf einen weit in der Zukunft liegenden „Entlohnungszeitpunkt“ hinarbeitet und diesbezüglich seine Entscheidungen abwägt. Nun stellt das „Rationalitätskonzept“ eine Vereinfachung innerhalb bestimmter Modellwelten dar, mit der die Komplexität der Realität reduziert wird: Muss das dann aber auch für reale Entscheidungen gelten? Sicherlich wird auch ein normales Individuum Komplexität zu reduzieren versuchen. Aber geht das zwangsweise einzig mit der Annahme einer rationalen Nutzenmaximierung von statten? Können an diese Stelle nicht auch Institutionen bzw. Regeln treten? Vorzugsweise moralische Verhaltensregeln? Ordnungsethikerinnen würden an dieser Stelle sicher zustimmen und auf die Notwendigkeit eines Ordnungsrahmens verweisen, der natürlich die „Moral“ enthält. Nur standen wir im Seminar immer wieder vor der Frage, wie denn die Ordnungsregeln wirklich entstehen: Wie entsteht ein originärer Regelrahmen? Und wenn sich das Handeln der Menschen an den Regelrahmen anpassen soll, wie passen dann Aussagen dazu, dass der Regelrahmen klug geschnitten sein muss?[7] Bei allen diesen Unklarheiten scheint mir in den ordnungsehtischen Konzeptionen irgendwie doch Grundtenor zu sein, den Regelrahmen an eine Art „wettbewerblichen Interessenkampf“ auszurichten, d.h. es stehen verschiedene Interessen in Konkurrenz und im (geordneten) Interessenkampf entsteht ein Regelrahmen.[8] Hier liegt m.E. der wesentliche Unterschied zu Ulrichs Konzeption: Bei ihm entscheidet nicht (allein) die wettbewerbliche Situation über die individuelle Moral, sondern das Individuum selbst, d.h. nicht Marktwettbewerb, sondern Selbstreflektion und Einsicht.[9] Hinzu kommt noch eine gewisse bereitwillige Opferbereitschaft, wie Ulrich (2000b) in ((25)) seiner Replik näher erläutert: „Ethisches Handeln ist nun einmal nicht ablösbar von der prinzipiellen Bereitschaft zur autonomen Selbstbeschränkung des eigennützigen Vorteils- und Erfolgsstrebens aus Einsicht in legitime Ansprüche anderer“. Also nicht die Rationalität des Marktes, sondern ein integratives Rationalitätsmuster kommt hier zum Zuge.[10] Mit dem Begriff der Integrität bringt Ulrich (2000b) diesen Aspekt in seiner Replik treffend auf den Punkt.[11] An gleicher Stelle karikiert er aber leider den Altruismus zum bedingungslosen Gutmenschentum.[12] Mit weniger emotionalem Einsatz wäre ihm sicherlich aufgefallen, dass seine integren Wirtschaftsbürger sehr wohl altruistische Züge tragen: Sie verzichten auf etwas zum Wohle anderer.[13] Anders als das ordnungsethische Menschenbild ist das Individuum dabei nicht von Sachzwängen zur minimalen Konsensmoral des Marktes getrieben; statt dessen sind die Individuen kraft ihrer Integrität frei, eine eigene Moral zu bilden und sie zu leben. Gerade ihre Bereitschaft zur Selbstbeschränkung des Egoismusstrebens – besser: ihr Altruismus – macht sie frei gegenüber den „Gesetzen des Marktes“ und gibt den Wirtschaftsakteuren ihre Mündigkeit (wieder). Salopp gesagt: Ein mündiger und integrer Wirtschaftsakteuer besitzt die Freiheit, immer auch „Nein!“ zu sagen.[14] Aus evolutions-ökonomischer Sicht ist damit auch ein wichtiges Element des Wandels verbunden, denn mit dieser quasi „Aussteiger“-Option gerät die „Marktwirtschaft“ unter Veränderungsdruck: Die moralischen Vorstellungen der Wirtschaftsakteure in Verbindung mit ihrem integrem Verhalten bewirken praktisch eine „interne Selektion“ wirtschaftlicher Handlungen bzw. Handlungsregeln, und zwar nicht nur bei sich selbst, sondern auch auf der emergenten Makroebene.[15]

((11)) Abschließend möchte ich noch einen Punkt aufgreifen, der auch immer wieder im Seminar eine Rolle spielte: Wenn die ökonomischen Konzeptionen (HO, Nutzenmaximierung usw.) nur auf Wettbewerbssituation angewandt werden, und dies das Hauptfeld der Ökonomie sein soll, welche Legitimation hat die Ökonomie dann außerhalb dieser Wettbewerbssituationen? Mit den Stichworten Sachzwang und Knappheitsproblem lassen sich zwar Unmengen an ökonomischen Betätigungsfeldern „interpretativ“ erschließen, allerdings ist die Wirtschaftswissenschaft dann wieder auf das „eigene“ Instrumentarium beschränkt. Wie lässt sich dann „ein Blick über den Tellerrand“ wagen? Wenn Wirtschaft eingebettet ist, wie stellt sich eine Wirtschaftswissenschaft dar? Welche „Berechtigung“ hat sie? Diese Fragen kenne ich nicht nur aus dem aktuellen Seminar, bei dem mitunter der Eindruck entstand, dass die Ökonomie etwas ganz Objektives wäre und für alle anderen (problematischen) Situationen „die anderen“ (Psychologie, Politikwissenschaft, usw.) zuständig wären. Im Rahmen der evolutorischen Ökonomik warf u.a. Hermann-Pillath (2004) diese Frage auf: Er sah u.a die Notwendigkeit nach mehr Interdisziplinarität, um dann letztlich eine universelle Evolutionsökonomik bzw. eine Grenzen auflösende „life science“ zu fordern.[16] Sicherlich kann hier kein abschließendes Urteil dazu gefällt werden. Doch erscheint mir dieser Aspekt sehr wichtig, weil Ulrichs Artikel eben auch die Forderung einer integrativen Interdisziplinarität enthält, welche seitens der Ökonomie durchaus als Gefahr empfunden werden kann: Wenn aufgebaute Grenzen zu anderen Disziplinen verschwimmen, welche Berechtigung besitzt dann Wirtschaft als Wissenschaft?[17] Oder knapper auf den Punkt gebracht: Was ist Wirtschaft überhaupt?

Anmerkungen

[1] Für Details zum Punktesystems siehe EVOECO (2008).

[2] „Das Gewinnstreben der Unternehmen hat seine ethische Rechtfertigugn im dadurch erzeugten Wohlstand der Konsumenten“, Homann (2005, S. 24).

[3] Vgl. Weimann (2000, (5)).

[4] Siehe dazu Fehr / Gächter (2002).

[5] Mit anderen Worten: Diese Modelle setzen voraus, dass a) alles in Geldeinheiten bewertet wird und b) dies alles auch rational in ein Entscheidungskalkül einfließt. Anders als Weimann (2000, (5)) schreibt, würde ich deshalb schon zur Behauptung tendieren, dass die Rationalität in der Verhaltensökonomik oft auch mit einer unterstellten „egoistischen Vorteilsnahme“ einher geht bzw. in ihrer Modellierung die von Ulrich (2000b, (14)) monierte „normative Logik des Vorteilstausches“ – implizit – enthalten ist. Insofern liegt Ulrich (2000) zumindest nicht ganz falsch mit seiner Kritik.

[6] Hinsichtlich der Einordnung zu Ulrichs Hauptartikel ist aus meiner Sicht Folgendes zu beachten. Wer meint, Altruismus rational ökonomisch modellieren zu können, muss sich zu Recht Ulrichs Ökonomismusvorwurf gefallen lassen: Denn nichts anderes würde in jenem Falle gemacht, nämlich „altruistisches Handeln“ in ein ökonomisch-rationales Konzept zu pressen. Wer eine solche Rationalitätsinterpretation ablehnt, müsste wiederum dem Vorwurf Ulrichs zustimmen können.

[7] Zur dieser Forderung siehe Homann (2005, S. 24). Implizit bedeutet eine Änderung des Regelrahmens nämlich, dass dieser das Verhalten der Menschen in die gewünschten Bahnen lenkt. Wer ersinnt aber diese Regeln, wenn nicht die Menschen selber? Wer soll die Regeln „klug“ schneidern? Wer besitzt dieses (All-) Wissen? Und wenn es die Menschen selbst sind: Stellt der Regelrahmen das menschliche Verhalten in Frage oder sind es die menschlichen Handlungen, die den Regelrahmen in Frage stellen?

[8] Beziehungsweise erhält dieser „klug geschnittene“ Regelrahmen seine ethische Legitimation dadurch, dass er eben diesen Interessenkampf unter geordneten Regeln zulässt. Auch hier zeigt sich insbesondere, wie problematisch die offene Frage nach den ursprünglichen Regeln ist.

[9] Damit sind die Anforderungen gemeint, die Ulrich (2000) in seinem Hauptartikel anspricht, z.B. den ideellen und universellen Rollentausch, kategoriale Differenzempfindlichkeit sowie die doppelten Legitimitätsbedingungen. Siehe Ulrich (2000, (6), (8), (10), (12) und (13)).

[10] Vgl. Ulrich (2000, (48)). Ich selbst habe dieses „innere Rationalitätsmuster“ als eine Art innere Rationalität bzw. Widerspruchslosigkeit verstanden, die sich einer Logik bedient, welche wir im Seminar mit dem Hare-Schema diskutiert haben. Das bedeutet, dass ein solcher Mensch nach Maßgabe u.a. der der Universalisierbarkeit handelt – das ist in sich logisch-rational, muss aber nach Marktkriterien vielleicht nicht zwangsweise logisch oder rational sein (weil dort andere Dinge einfließen als im „nackten“ – am strikten Eigennutz – orientierten Marktkalkül).

[11] Vgl. Ulrich (2000b, (26)).

[12] Vgl. Ulrich (2000b, (22)).

[13] Auf Altruists.Org (2008) findet sich folgende Altruismus-Definition: „1. Loving others as oneself. 2. Behaviour that promotes the survival chances of others at a cost to ones own. 3. Self-sacrifice for the benefit of others“. Demnach dürfen also integre Wirtschaftsakteure durchaus als Altruisten gelten. Eine Zuspitzung und Verklärung dieses Begriffs zu einem quasi „Schimpfwort“ halte ich nicht für angebracht. Auf einem völlig anderen Blatt steht natürlich, ob die Forderung nach Integrität nicht schon zu idealistisch ist.

[14] Seltsamerweise müsste die Homann-Schule genau damit etwas anfangen können, wenn z.B. Homann (2005, S. 25) „Handlungsbegrenzung zwecks Interaktionsentgrenzung“ zum wirtschaftspolitischen Programm erhebt. Denn etwas ähnliches geschieht auch beim integren Wirtschaftsakteuer Ulrichs: Die Option, auf etwas zu verzichten, stellt zwar einerseits einen Verzicht dar, eröffnet aber eben auch – wie oben ausgeführt – (neue) Handlungsoptionen.

[15] Insofern möchte ich mir den Hinweis auf die Unterscheidung in formelle und informelle Regeln erlauben, die ich insbesondere bei Kritiken ausgewiesener Institutionsökonomen vermisste. Es ist zwar sicherlich falsch, im informellen Sektor „bedingungslosen Altruisten“ zu vermuten. Gleichwohl zeigt eine Beschäftigung mit genau diesem Sektor, dass moralische Einstellungen und Traditionen (soziale Makroebene) durchaus bestimmte wirtschaftliche Handlungen aussortieren, wobei das nicht immer zum „objektiv finanziell-ökonomischen“ Vorteil geschehen muss. Beispiele dafür finden sich im privaten Geldverleih, wo Zinsen eben „moderat“ ausfallen, obwohl sie unter ökonomischen Gesichtspunkten höher angesetzt sein könnten. Für weitere Beispiele siehe Thieme (2007, S. 50-55).

[16] Vgl. Hermann-Pillath (2004 , (11)).

[17] „Interdisziplinarität [...] ist [...] ein schwieriges und unbequemes Geschäft, denn sie stellt, sobald wir uns als disziplinär geprägte Personen auf andere Disziplinen und deren Rationalitätsmuster wirklich einlassen, naturgemäß immer unsere eigene akademische Identität ein Stück weit in Frage“, Ulrich (2000b, (1)).

Literatur

Altruists.org (2008), Altruism – What Is It?, im Internet unter: http://www.altruists.org/about/altruism (Stand: 27.01.2008). EVOECO (2008), Menüpunkt: Regeln, Hompage der Leipziger Erwägungsseminar unter: http://evoeco.forschungsseminar.de/regl.html (Stand: 25.01.2008).

Fehr, E. / Gächter / S. (2002), „Altruistic punishment in humans“, Nature, Vol. 415, Nr. 10, S. 137-140. Hermann-Pillath, C. (2004), „Evolutionsökonomie ohne Evolutionstheorie?“, EWE, Jg. 15, Heft 1, S. 67-69.

Homann, K. (2005), „Ethik und Marktwirtschaft – tatsächlich Gegensätze?“, in: hrsg. von Bundesverband deutscher Banken (2005), Die Zukunft der sozialen Marktwirtschaft – Politik, Wirtschaft und Bürger in der Verantwortung, Berlin, S. 22-27.

Quaas, F. u.a. (2007), „Erwägung als Prozess der Selbstorganisation – Seminarbericht zur Erwägung einer Grundsatzfrage der Evolutorischen Ökonomik“, Erwägen Wissen Ethik, Jg. 18, Heft 2, Stuttgart, S. 161-194.

Thieme, S. (2007), Schmuggel als ökonomisches Phänomen, Diplomarbeit., Universität Leipzig, Institut für Wirtschaftspolitik.

Ulrich, P. (2000), „Integrative Wirtschaftsethik: Grundlagenrelektion der ökonomischen Vernunft“, EuS, Nr. 11, Heft 4, S. 555-567.

Ulrich, P. (2000b), „Integrative Wirtschaftsethik im Rationalitätskonflikt“, EuS, Nr. 11, Heft 4, S. 631-642.

Weimann, J. (2000), „Reflexion ohne Verständnis“, EuS, Nr. 11, Heft 4, S. 625-627.