Christian Keller

Erfahrungsbericht zum Erwägungsseminar im WS07/08



Bis zum Zeitpunkt der erstmaligen Teilnahme an besagter Veranstaltung hatte ich mit dem Erwägungskonzept nichts zu tun, und auch nicht davon Notiz genommen. Aufgrund dessen mag es nicht verwunderlich sein, dass ich gegenüber diesem Konzept zu Beginn, aber auch im Verlaufe der Veranstaltungsreihe, skeptisch war und letztlich geblieben bin. Die allgemeine Skepsis bezog sich erstens darauf, dass ich mir nicht vorstellen konnte, ein ganzes Semester über einen wissenschaftlichen Artikel und ein paar anderthalbseitige Kritiken zu diskutieren. Zweitens fand ich zu Beginn die aufgestellten Regeln der Zusammenarbeit beklemmend und drittens ist für mich nach wie vor offen, durch welche Besonderheiten sich das Erwägungskonzept auszeichnet. Insbesondere im Kontext meiner bisherigen Seminarerfahrungen in der Soziologie stellt sich mir die Frage, warum man nicht einfach von einer sehr ausführlichen Literaturbesprechung spricht. Meines Erachtens zeichnet sich Wissenschaft ja gerade dadurch aus, verschiedene Denkmöglichkeiten zu Rate zu ziehen, um bestimmte Sachverhalte adäquat zu beschreiben und in einem weiteren Schritt zu (er-)klären. Von diesem Aspekt ausgehend bin ich aber mit der generellen Vorgehensweise im Seminar selbst zufrieden gewesen. Was die beiden ersten angesprochenen Punkte angeht, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die Fokussierung als auch das Bonus-Malus-System durchaus seine Berechtigung gefunden hat. Vielmehr würde ich nun vielleicht sogar rigideren Regeln zustimmen, da für die Diskussionsführung ein ausführliches Literaturstudium im Vorfeld einer jeden Veranstaltung nötig ist. Ebenso relativiert sich der für ein Semester geringe Literaturumfang dadurch, dass es am Rande der Diskussion durchaus oft nötig wurde, auf die Primärliteratur der Kritiker zurückzugreifen. Darüber hinaus halte ich die Praxis der mündlichen Berichterstattung für ausbaufähig – in dem Sinne, dass jeder Teilnehmer zu jeder Veranstaltung eine eigene Kurzzusammenfassung und daraus resultierende Fragen notiert. Das hat dreierlei Vorteile: Zum Einen sind die Teilnehmer eher zur Vorbereitung motiviert, zweitens hat man etwas Greifbares als Ergebnis und zum Anderen verläuft die Seminardiskussion nicht so zäh. Insbesondere in den ersten Veranstaltungswochen war letzteres sehr unangenehm. Die ausführliche Protokollierung des Geschehens hielt ich für überflüssig, die Ergebnisprotokolle darum um so zielführender.

Eine abschließende Beurteilung dieser Praxis mag ich mir noch nicht gebildet haben. Mein eigener Einsatz für das Seminar war wohl bisher sehr bescheiden. Demnach steht es mir auch nicht wirklich zu, an den, meiner Ansicht nach, spärlichen Ergebnissen der Veranstaltung Kritik zu üben. Nichtsdestotrotz habe ich großes Interesse an einer erneuten Teilnahme in den folgenden Semestern, da eine derart ausführliche Textdiskussion doch eine Seltenheit ist und sich mir dadurch die Gelegenheit ergibt, an meinen (beschränkten) analytischen Fähigkeiten zu arbeiten.

Inhaltlich beschäftigten wir uns ja mit dem EWE-Artikel Ulrichs, zu seinem Vorschlag der Integrativen Wirtschaftsethik. Zunächst erläutert Ulrich u.a. in Abgrenzung zu den bestehenden Ansätzen der normativen Ökonomik und der Wirtschaftsethik als angewandter Ethik sowie mit seiner Kritik am Ökonomismus die Notwendigkeit einer neuen Konzeption von Wirtschaftsethik. Insbesondere die Auseinandersetzung mit der Homann-Schule spielte in unseren Diskussionen eine große Rolle. Die Ulrich-Kritiken von Anhängern dieser Ordnungsethik, nämlich Aufderheide, Pies und Suchanek nahmen wir ausführlich auseinander und reicherten unsere Erkenntnisse mit einer Rede von Homann, sowie Zitaten aus den Werken von Suchanek und Homann an. Diese inhaltliche Auseinandersetzung fand ich sehr gut und auch von Ihrem Umfang her angemessen. In der Folge konnten wir uns einen eigenen Standpunkt dazu erarbeiten. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang noch mal, dass man sich durch diese intensive Beschäftigung sehr gut mit dieser Schule auseinandersetzt und damit wohl auch in Zukunft umzugehen weiß, statt immer nur das eigene Halbwissen zu replizieren.

Anders erging es mir mit der Konzeption Ulrichs. Zwar fallen mir Schlagworte ein, die er in seinem Artikel propagiert, z.B. Primat der Ethik, Ethik der Freiheit, Verantwortbarkeit und Zumutbarkeit als doppelte Legitimitätsbedingung, Sachzwangbegrenzungspolitik, Wirtschaftsbürgerethik, etc.

Ein durchgängiges Konzept mit klaren Handlungsanweisungen sehe ich aber nicht. Insbesondere die Fragen, wer bestimmt, welche Handlungen zumutbar sind? sowie: wie sollte diese Ordnung in einer doch schon sehr ökonomisierten Gesellschaft implementiert werden? halte ich für ungelöst. Woran mein mangelndes Verständnis liegen mag, lässt sich nicht eindeutig beurteilen. Entweder bleibt Ulrich aufgrund seiner mangelnden Explikation unverstanden, oder die Seminardiskussion thematisierte Ulrichs Ansatz zu wenig, um mir diesen begreifbar zu machen. Das ist ein sehr großer Kritikpunkt, den ich bereits oben kurz ansprach. Im Seminar selbst verlief die Explikation und Diskussion zu Beginn der Seminarreihe sehr zäh und brachte im Endeffekt zu wenig Ergebnisse ein.

Dies zeigte sich auch ein wenig bei der Definition von Moral. Noch immer ist es mir unerschlossen, wie sich z.B. moralische Regeln von Verhaltensregeln im Knigge unterscheiden. Ansonsten empfand ich den Artikel von Ulrich insofern als bereichernd, als dass er seine Ökonomismuskritik, die ich teile, sehr gut expliziert hat. Man sollte nicht verachten, dass sich der ökonomische Ansatz durchaus gut eignet, menschliches Verhalten zu erklären. Die Stärke des h.o./RC-Ansatzes ist aber nicht auf dessen Implikationen gegründet, sondern ausschließlich auf dessen Erklärungskraft vergangener(!) Sachverhalte. In diesem Sinne zeichnet sich die reale Wirtschaftswissenschaft leider weniger als positiv als vielmehr als normativ aus.

22.01.2008