((1)) Nach der Ausarbeitung meines Hauptartikels nagten in
mir zunächst leichte Zweifel, ob der (vom beschränkten Umfang
diktierte) stark programmatische Charakter und hohe
Verdichtungsgrad, in dem die umfassend angelegte Konzeption
der integrativen Wirtschaftsethik präsentiert wurde, überhaupt
genügend Ansatzpunkte für kontroverse Auffassungen
und Ansichten bieten würde. Die Sorge hat sich als gegenstandslos
erwiesen: Die paradigmatischen Inkommensurabilitäten
zwischen Ethik und Ökonomik bzw. zwischen verschiedenen,
jeweils primär von der einen oder der anderen Disziplin
her "denkenden" Ansätzen der Wirtschaftsethik sind so
erheblich, dass auch nach mittlerweile bald 15 Jahren wirtschaftsethischer
Debatte selbst in grundlegenden Fragen kaum
Annäherungen stattgefunden haben. Immerhin sind inzwischen
die systematischen Differenzen zwischen den konkurrierenden
"Schulen" recht präzise herausgearbeitet, und viel mehr
ist gerade in interdisziplinären Kontroversen kaum zu erwarten.
Interdisziplinarität - häufig postuliert, aber selten wirklich
praktiziert - ist in der hoch arbeitsteiligen Wissenschaftsproduktion
ein schwieriges und unbequemes Geschäft, denn
sie stellt, sobald wir uns als disziplinär geprägte Personen auf
andere Disziplinen und deren Rationalitätsmuster wirklich einlassen,
naturgemäß immer unsere eigene akademische Identität
ein Stück weit in Frage.
((2)) Auf diese paradigmatische Provokation, die m.E. zum
interdisziplinären Diskurs gehört, lässt sich erfahrungsgemäß
verschieden reagieren: mit unterschiedlichen Graden des Sich-
Einlassens auf "fremde" Begrifflichkeiten, Argumente und
Theoreme, aber auch in verschiedenen Stilformen. Die meinem
Hauptartikel gewidmeten 28 Kritiken decken das ganze
Spektrum ab. Der erfreulicherweise klar überwiegenden Zahl
jener Kritiker verschiedener disziplinärer Herkunft, die auf
die vorgelegte Konzeption und Argumentation ernsthaft eingetreten
sind, gilt ganz unabhängig von ihrer Zustimmung oder
Ablehnung mein besonderer Respekt und Dank. Der kleinen
Zahl von Autoren, die sich mehr über meinen für sie offenbar
ganz oder teilweise abwegigen Entwurf aufgeregt als in den
argumentativen Diskurs eingelassen haben, sei nachsichtig
zugestanden, dass m.E. wissenschaftliches Engagement ohne
Emotionen kaum vital wäre. Gewisse "Tonlagen" in den entsprechenden
Beiträgen haben mir daher viel öfter ein Schmunzeln
entlockt als mich ärgerlich gestimmt. Wo Letzteres ausnahmsweise
der Fall war, werde ich mich im einen oder anderen
Fall nicht scheuen, es durchblicken zu lassen und die Gründe
dafür zu benennen. Im Übrigen halte ich es für ergiebiger,
meine Antworten auf die Kritiken gemäß den systematischen
Schwerpunkten der aufgeworfenen Sachfragen zu gruppieren.
Die Transparenz der gewählten Struktur dürfte durch die Gliederung
des Textes gegeben sein, so dass ich hier auf eine Vorschau
verzichte. Da auf die Kritiker und die Kritikerin durchweg
mehrfach in verschiedenen Kontexten Bezug genommen
wird, sind deren Namen zwecks leichterer Auffindbarkeit stets
fett gesetzt. Bei der Ersterwähnung wird der Vorname aufgeführt,
danach jeweils weggelassen.
a) Schwierigkeiten
mit dem moral point of view moderner Vernunftethik
((3)) Ob die philosophische Ethik heute in der Lage ist, einen
Vernunftstandpunkt der Moral zu begründen, ist bekanntlich
nach wie vor umstritten. Vertreter des so genannten "Nonkognitivismus"
in der Ethik lehnen dies als rationale Denkmöglichkeit
rundweg ab. Insbesondere auch Wissenschaftler, deren
Wissenschaftsverständnis vom Kritischen Rationalismus
geprägt ist, sind ethische Nonkognitivisten. Da diese szientistische
Position gerade bei Ökonomen, die ihre Disziplin primär
als empirisch-analytische Wissenschaft (in theoretisch
erklärender Absicht) verstehen, verbreitet ist, gehört es zu
den Standardschwierigkeiten einer "kognitivistisch", d.h. in
Kant'scher Tradition als Vernunftethik ansetzenden Wirtschaftsethik,
schon bezüglich des wissenschaftlichen Status
ihres Bemühens im Allgemeinen am Unwissenschaftlichkeitsoder
gar Ideologieverdacht von dieser Seite anzustoßen. Im
Speziellen richtet sich die Ablehnung regelmäßig gegen die
Diskursethik, wobei diese allerdings diverse landläufige, offenbar
nicht auszurottende Fehlinterpretationen erleidet, die
in der Literatur hinlänglich diskutiert worden sind und auf die
ich hier nicht im Einzelnen eingehen kann: das konkretistische
Missverständnis eines von ihr vermeintlich vertretenen
"Konsensprinzips"; das utopistische Missverständnis der regulativen
Idee des Diskurses als einer weltfremden Überforderung;
das pragmatistische Missverständnis derselben regulativen
Idee als eines "anwendbaren" Verfahrens; das kontraktualistische
Missverständnis als strategisches Bargaining, usw.
usf. (vgl. dazu Ulrich 1996: 34ff.; ders. 1998: 78ff.).
((4)) Nach Gerhard Engel (4) kann man auf dieser Linie von
"einer Philosophie, der es noch nicht einmal gelungen ist, sich
vom Rechtfertigungsdenken zu lösen und damit aus Kants
Schatten herauszutreten", von vornherein nichts anderes erwarten,
als dass sie "konzeptionell noch im 19. Jahrhundert lebt"
und sich "an intellektuellen Altlasten orientiert", womit expressis
verbis und ad personam Habermas gemeint ist. Eine Wirtschaftsethik
mit "Niveau" (!) müsste nach Engels Meinung auf
einer "subjektivistischen Konzeption der Ethik" aufbauen und
davon ausgehen, "dass man es auch als einen moralischen Wert
ansehen kann (und m.E. auch sollte), jedem Individuum die
Verfolgung seiner Interessen zuzugestehen" (5). Logischerweise
deutet er auch die Diskursethik als bloß subjektive Präferenz
der "Diskursethiker". Diese geraten ihm folglich unter den
Autoritarismusverdacht, "unter sich ausmachen" zu wollen,
"was ethisch ‚tragfähig' ist"; sie würden die "subjektivistischen
Ethiker" ignorieren statt sie in den Diskurs zu integrieren.
Nicht weit davon entfernt, wittert Werner Lachmann die
"Gefahr einer ethischen Diktatur" (8) vonseiten der Diskursethiker,
die dann natürlich auch den Anspruch einer Vernunftethik
des Wirtschaftens höchst fragwürdig erscheinen lässt (5).
Gebhard Kirchgässner geht als Kritischer Rationalist aus von
der "Annahme, dass eine (ethische?? P.U.) Aussage dann als
wahr gelten soll, wenn sie den Tatsachen entspricht", und
kommt von da aus zum Schluss, dass eine "kognitivistische
Ethik ... nicht möglich" sei, was jedoch ein Fehlschluss ist,
da Ethik keine empirisch-analytische Theoriebildung betreibt.
Er empfiehlt, Wirtschaftsethik habe "in vernünftiger Zurückhaltung"
sich mit "hypothetischen Imperativen kluger Interessenwahrung"
zu begnügen (1), womit er schlicht die ethischpraktische
Vernunftidee auf die ökonomische Rationalitätsperspektive
reduziert. Der Pauschalverdacht, dass eine anders
ansetzende (Wirtschafts-) Ethik "dem Totalitarismus Vorschub
leisten" (12) müsste, ist auch bei ihm nicht weit weg. Bei allen
drei erwähnten Kritikern steht dieser Verdacht wie gezeigt
für die Verkennung oder Nichtanerkennung des eigenständigen
philosophisch-ethischen Rationalitätsanspruchs und damit
für die generelle Ablehnung einer normativen Wirtschaftsethik
mit wissenschaftlichem Status überhaupt.
((5)) "Kognitivistisch" gegen solche Positionen eines ethischen
Subjektivismus aus argumentieren zu wollen, erweist
sich erfahrungsgemäß als ebenso zwecklos wie der elementare
Hinweis, dass die "Nonkognitivisten" ja wohl für ihre eigenen
Argumente sehr wohl einen "kognitiven" Geltungsanspruch
erheben und sich damit in einem pragmatischen Selbstwiderspruch
befinden. Einiges wider das merkwürdige Postulat
einer "nonkognitivistischen" Ethik ist bereits in der EuSDebatte
zu Homann/Pies (1994) gesagt worden, so z.B. von
Osterloh/Tiemann (1994). Ich begnüge mich hier deshalb mit
dem Hinweis, dass der ethische Subjektivismus sich zwar in
einem weiteren Sinn mit Wertfragen (als subjektiven Präferenzen)
befasst, aber die für moralische Geltungsansprüche
konstitutive "intersubjektive Forderungsstruktur" (Tugendhat
1993: 64), auf die ich im Hauptartikel (HA 10) eingegangen
bin, und damit den moral point of view verfehlt. Sofern man
unter der philosophischen Ethik jene Disziplin versteht, die -
gleichsam als die Grammatik der Intersubjektivität - in ihrem
Kern ein allgemeingültiges Moralprinzip zu begründen sucht,
reden die "Nonkognitivisten" und "ethischen Subjektivisten"
schlichtweg an der philosophischen Ethik im heute üblichen
Sinn des Begriffs vorbei. Wenn sie "Ethik" sagen, meinen sie
bloß ein subjektives oder konventionelles, allenfalls religiös
verbürgtes Ethos.
((6)) Der unzureichende subjektivistische Ethikbegriff hat
natürlich weitreichende Konsequenzen für die Einschätzung
der möglichen Rolle von (normativer) Ökonomik als "Wirtschaftsethik".
Dem Nonkognitivisten erscheint die Rekonstruktion
von Wirtschaftsethik in terms of economics als die einzige
Chance, sie auf wissenschaftlichem Niveau als "Ethik ohne
Moral" anzusetzen, wie Adela Cortina (1992) das in kritischer
Absicht pointiert hat, nämlich als eine ökonomisch modellierte
"Ethik mit anderen Mitteln" (Homann 1994: 13). Im
Prinzip sind zwei (voneinander nicht ganz unabhängige) Varianten
einer auf dem ökonomischen Rationalprinzip als dem
impliziten "ethischen" Prinzip aufbauenden normativen Ökonomik
zu unterscheiden: utilitaristische Positionen, die das
im Sinne der utilitaristischen Ethik verstandene "Gemeinwohl"
als das ethische Kriterium auffassen (utilitaristisches Prinzip),
und kontraktualistische Positionen, die - konsensfreudiger als
die Diskursethik (!) - im faktischen Zustandekommen eines
Einvernehmens (agreement) zwischen Individuen oder Parteien
mit konfligierenden Interessen das ethisch hinreichende
Kriterium vermuten, sofern diese Individuen ihre Präferenzen
frei wählen und äußern können (Vertragsprinzip).
((7)) Eine ausdrücklich utilitaristische Position, wie sie u.a.
der älteren Wohlfahrtstheorie zugrunde lag (vgl. Bohnen
1964), aber auch in allen walrasianisch-gleichgewichtstheoretischen
Vorstellungen eines "volkswirtschaftlichen Optimums"
durchschimmert (vgl. Ulrich 1998: 193f.), wird heute
wegen der Verletzung des liberalen Prinzips durch die "kommunistische
Fiktion" (Myrdal 1976) eines Kollektivnutzenkriteriums
auch von fachökonomischer Seite kaum mehr vertreten.
Es ist insofern vielleicht nicht ganz zufällig, dass mit
Christoph Lumer (10) eher ein Fachphilosoph in m.E. allzu
vager Abgrenzung vom utilitaristischen Prinzip "welfaristischen
Ethiken" das Wort redet, die "die Moralität von Handlungen
und Institutionen über ihre Wünschbarkeiten für alle
Betroffenen definieren" und so seiner Auffassung nach problemlos
"Gerechtigkeitsforderungen aufnehmen" können. Wie
das ganz ohne unkritische Hinnahme gegebener Präferenzen
und Machtverhältnisse zu denken ist (Status-quo-Problem; vgl.
HA 23), bleibt unklar. Einen kontraktualistischen Ansatz lehnt
er immerhin ab (6). Demgegenüber findet sich in den Kritiken
von ökonomischer Seite der ethische Subjektivismus
durchweg in der (explizit oder implizit vertretenen) Form des
Kontraktualismus, der freilich untergründig die utilitaristische
Fiktion eines allgemeinen Wohlfahrtsmaximums aufrecht erhält,
wie man etwa bei Oskar Kurer (2, 11) nachlesen kann.
Auf der axiomatischen Basis des methodologischen Individualismus
redefiniert der Kontraktualismus das Gemeinwohlkriterium
nur paretianisch um, womit es allerdings "frei" von
jeder anderen Gerechtigkeitsidee als jener der (status-quoabhängigen,
stets relativen) Tauschgerechtigkeit bleibt: Gemeinwohl
ist, was für jeden Einzelnen bei gegebener Ausgangslage
(an realen Optionen) nach Maßgabe seiner Präferenzen
vorzüglich ist (vgl. HA 30f.).
((8)) Bei verschiedenen Kritikern, so etwa bei Detlef Aufderheide
(6), Franz Haslinger (8) und Andreas Suchanek
(7), kommt diese kontraktualistisch gedachte Wirtschaftsethik
ohne Moral klar zum Ausdruck. Das von Letzterem genannte
Ideal der "Kooperation zum gegenseitigen Vorteil" (7) wird
von Aufderheide explizit als ein Verfahren zur Bestimmung
von "universalisierbaren Normen" vom "moralischen Standpunkt"
aus (6) fehlinterpretiert. Sein terminologischer Vorschlag,
zwar für die "ökonomische Begründung (sic!) moralischer
Normen", nicht aber für die "ökonomische Theorie der
Implementation und Durchsetzung moralischer Normen" (die
er zutreffend als "Moralökonomik" bezeichnet) den Begriff
einer "ökonomischen Wirtschaftsethik" in Anspruch zu nehmen
(5), ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, verfehlt
aber die kategoriale Differenz zwischen philosophischer Ethik
und ökonomischer Vertragstheorie noch immer. Dabei kann
er sich leider ein Stück weit zu Recht auf Karl-Otto Apel berufen,
der sich in einer ersten Phase der Beschäftigung mit
dem ökonomischen Kontraktualismus von dessen diskretem
Charme verführen ließ und die entscheidenden Differenzen
zwischen "Vertragsethik" und Diskursethik (interessen- statt
gerechtigkeitsbasiert; Problem der nicht zur Disposition gestellten
individuellen Präferenzen; Status-quo-Problem) übersah
(vgl. zu dieser Debatte den von Kuhlmann/Harpes (1997)
herausgegebenen Sammelband).
((9)) Diese Differenzen, die offenbar auch Michael Schramm
(10) als theologischem Ethiker fremd geblieben sind, mögen
im praktischen Ergebnis nicht immer groß sein, aber sie sind
eben doch kategorial bedeutsam. Ihre Vernachlässigung führt
beispielsweise zu so konfusen Einwänden wie jenem von Joachim
Weimann (3), wonach die "Effizienzforderung" doch
wohl "eine Art ethischer Minimalkonsens" sei und ich mich
daher irren würde mit der Behauptung, "dass die reine Ökonomik
keine regulative Idee ethischer Vernunft anerkennt",
oder zu Lachmanns (12) Frage, ob ein Ansatz, in dem "Effizienz
nicht unbedingt gefordert ist ..., nicht im tiefsten unethisch
ist" - als ob Effizienz eine sine-qua-non-Bedingung
des Moralprinzips wäre. Eine solche normative Überhöhung
des Effizienzkriteriums ist, wie Hans G. Nutzinger (9) treffend
formuliert, "mehr Problemanzeige als Problemlösung,
denn (...) die Beschränkung auf das Pareto-Kriterium (...) unterstellt
stillschweigend, dass möglichst alle sozialen Beziehungen
nach dem Muster des Tausches gestaltet sein sollten".
Doch handelt es sich hier selbst um ein höchst "begründungsbedürftiges,
aber nicht letztbegründbares Werturteil" (9). Richard
Sturn (5) weist in diesem Zusammenhang nachdrücklich
und zutreffend auf die gerechtigkeitsethische Problematik
der ökonomischen "Hegemonie einer effizienzorientierten
Normativität" hin. Wer sich mit einer solchen Effizienzethik
nicht begnügt und nicht allein auf "bedingte Klugheitsimperative",
sondern auf (kantianisch begriffene) "unbedingte, kategorische
Imperative" setzt, der betreibt nach Ingo Pies (10,
14) gleichwohl eine seiner Meinung nach geradezu fragwürdige,
da "moralistische Ethik"; in diesem Sinne qualifiziert
sich die integrative Wirtschaftsethik in der Tat als "eine mit
Moral identifizierte und sogar infizierte Ethik".
b) Zum Primat der Ethik
((10)) Es versteht sich nach allem Gesagten von selbst, dass
ethische Subjektivisten die Rede vom Primat der Ethik vor
ökonomischen Argumenten (HA 13) als zutiefst irritierend
empfinden. Einzelne Kritiker können sich auf ihrer kategorialen
und axiomatischen Basis darunter nichts anderes vorstellen
als den arroganten Anspruch irgendwelcher dahergelaufener
(Wirtschafts-) Ethiker, "die Ökonomik zu belehren" (Pies
(13)). Im gleichen Sinn moniert Daniel Dietzfelbinger, der
mein Eintreten für den Primat der Ethik als "parteiisch" (6)
empfindet: "Die vielfach repetierte Behauptung vom Primat
der Ethik führt nicht zu einer Integration ..., sondern ist eine
Hierarchisierung der beiden Rationalitäten", und dies impliziert
vermeintlich den Anspruch, "dass Ethik der Wirtschaft
oktroyiert werden muss" (4). Wie sehr diese unsorgfältige
Lesart gerade gegenüber dem Ansatz der integrativen Wirtschaftsethik
fehlgeht, der ja als ethisch-kritische Grundlagenreflexion
der ökonomischen Ratio ansetzt und somit eher "von
unten" (in immanenter Selbstreflexion) als sachfremd "von
oben" zu dieser kommt, möchte ich hier nicht "repetieren" (vgl.
HA 2, 5). Diesbezüglich macht es sich vielleicht weniger dieser
Ansatz als vielmehr Dietzfelbinger "zu bequem" (5).
((11)) Generell ist zu beachten, dass die philosophisch übliche
Rede vom Primat der Ethik keinesfalls eine disziplinäre Rangordnung
zwischen Ethik und Ökonomik bzw. anderen akademischen
Disziplinen meint - diesbezüglich ist selbstverständlich
von einer Gleichwertigkeit aller Disziplinen auszugehen -
, sondern eine lexikalische Vorordnung des moral point of view
vor den ökonomischen Aspekt, wie Nutzinger (16) richtig interpretiert.
Das ist schlicht die logische Konsequenz des -
kantianisch gesprochen - kategorischen Geltungsanspruchs
des Moralprinzips, das ja für die unbedingte wechselseitige
Achtung und Anerkennung aller Menschen in ihrer Würde
und ihren Grundrechten um ihrer selbst willen steht und sachgemäß
den Vorrang vor jeder durch irgend ein Nutzenkalkül
bedingten Kooperation zwischen ihnen impliziert (vgl. Ulrich
1998: 61, 121f.). Dass der Primat der ethischen Vernunft "nicht
unabhängig von der Effizienzfrage gesehen" werden kann, wie
Nutzinger (13) einwendet, trifft den hier entscheidenden Punkt
nicht. Diesbezüglich stimme ich mit Löhr (1991: 255) überein:
"Das ‚alte' Primat der Ethik aufzugeben, dies ist keine notwendige
Konsequenz aus der Einsicht, dass auch ökonomisches
Handeln notwendig ist, sondern schlichtweg die Preisgabe
einer vernünftigen und umfassenden Orientierung des menschlichen
Handelns überhaupt."
((12)) Zu fragen ist, warum nicht wenige Ökonomen - im
Unterschied zur einzigen hier mitdiskutierenden Ökonomin,
Friedrun Quaas (4), die diesbezüglich erfreulich souverän
und klarsichtig ist - so viel Mühe damit haben zuzugestehen,
dass es vorrangige Kriterien normativer Handlungsorientierung
gibt, die nicht auch noch rein ökonomisch begründbar
sind. Die Antwort offenbart sich in exemplarischer Weise bei
Dietzfelbinger und erklärt wohl zugleich dessen besonders
schrillen Protest gegen den Primat der Ethik. Dieser gerät
nämlich dem von ihm vertretenen Primat der "systembezogenen
Funktionslogik" der Marktwirtschaft ins Gehege: "Ökonomische
Akteure müssen (sic!) zuallererst ihr wirtschaftliches
Interesse verfolgen". Das ist ökonomischer Determinismus
pur, wie ich ihn im Hauptartikel (23-27) nicht grundlos
recht eingehend dargestellt und durchleuchtet habe. Wohl nicht
ganz zufällig versucht Dietzfelbinger das Denkmuster, in dem
er befangen ist, einfach umzukehren, indem er mir einen "ethischen
Determinismus" (6) vorzuhalten versucht. Bedenkt man
jedoch, was es überhaupt heißt, den Standpunkt der Moral
einzunehmen - nämlich: den Standpunkt einer "durch Anerkennung
intersubjektiv vermittelte(n) Freiheit" (Pieper 1991:
43) -, so belegt Dietzfelbinger mit dieser missglückten Etikettierung
höchstens, dass er von moderner Vernunftethik als
der normativen Logik der Zwischenmenschlichkeit oder der
Grammatik des vernünftigen Zusammenlebens freier und gleicher
Menschen noch nicht allzu viel begriffen haben kann (vgl.
HA 8ff).
((13)) Einen differenzierteren und interessanteren Einwand
gegen die "lexikographische Priorisierung" der ethisch-praktischen
Vernunft vor der ökonomischen Ratio erhebt Sturn
(4). Er weist darauf hin, dass die "lexikographische Priorisierung"
der ethisch-praktischen vor der instrumentellen Vernunft
nur "in jenen normativen Sphären ..., welche als von klaren
und präzisen Normen regiert gedacht werden", hilfreich sei,
nicht aber in Fragen von "Tugendpflichten" oder - diesbezüglich
scheint mir der Einwand allerdings zu wenig präzis
formuliert - der "Verteilungsgerechtigkeit". Ich selbst habe
eine ähnliche Einschränkung, falls ich Sturns Intention richtig
deute, an anderer Stelle so formuliert, dass die Differenz
zwischen der Begründung allgemeiner (Rechts-) Normen und
deren "Anwendung" in konkreten Situationen keineswegs für
alle ethisch-moralischen Diskurse als paradigmatisch gelten
kann (Ulrich 1998: 99, Fn. 12). Diesseits allgemeiner, d.h.
kontextfrei definierbarer Grundnormen lassen sich die legitimen
Ansprüche (moralischen Rechte) und die zumutbaren
Pflichten aller Beteiligten und Betroffenen angesichts situationsspezifisch
konfligierender Ansprüche stets nur kontextbezogen
begründen. Genau aus diesem Grund halte ich die
begriffliche Trennung zwischen Begründung und Anwendung,
auch in der Habermas'schen Variante von "Begründungs-" vs.
"Anwendungsdiskursen", für eine Bereichs- oder Bindestrichethik
wie die Wirtschaftsethik für verfehlt. Das Geschäft "angewandter"
Ethik besteht durchweg in der Reflexion über gut
begründete Handlungsorientierungen - "anzuwenden" gibt es
dabei insofern nichts, als der moral point of view zwar den
maßgebenden normativen Gesichtspunkt abgibt, in dessen
Lichte Geltungsansprüche hinsichtlich ihrer Begründbarkeit
zu prüfen sind, nicht aber ein "anwendbares" analytisches
Prüfverfahren darstellt.
((14)) Meine zuletzt angesprochene Ablehnung des "Anwendungsmodells"
von Wirtschaftsethik (HA 17f.) - so die
frühe Formulierung des Ausschusses ‚Wirtschaftswissenschaft
und Ethik' im Verein für Socialpolitik (Homann/Hesse 1988)
- hat mehrfachen Widerspruch hervorgerufen. Matthias Rath
(5) liest sie als eine "Diskreditierung der Angewandten Ethik"
schlechthin, was aber so gegenstandslos ist, trotz mancher
sachlicher Bedenken gegen das Konzept "angewandter Ethik";
Bedenken, die besonders Micha H. Werner (10ff.) teilt (vgl.
auch Werner 1999) und die vielleicht auch bestärkt werden
von Lumers (7) freilich anders gemeintem Einwand (gegen
wen eigentlich?), dass "das diskursethische Kriterium nicht
anwendbar" sei. Mir geht es dabei ausdrücklich um ein Stück
Ökonomismuskritik an einem bestimmten weit verbreiteten
Vorverständnis von Wirtschaftsethik, das die normative Logik
des Vorteilstausches im vorgefundenen marktwirtschaftlichen
Kontext flugs zur "Anwendungsbedingung" von Ethik
in der Wirtschaft (v)erklärt und sie damit, gewollt oder ungewollt,
schon im Ansatz aus der normativ-kritischen Grundlagenreflexion
ausblendet. Genau darauf beruht der gängige
"myth of amoral business" (De George 1990: 3ff.), also die
Fiktion einer von Moral unberührten, "reinen" ökonomischen
Logik und damit einer ethisch neutralen Sphäre des Marktes,
die innerhalb bestimmter normativer Grenzziehungen ethisch
problemlos sei (korrektive Wirtschaftsethik).
((15)) Rath (7) und besonders Jesús Conill (3ff.) unterscheiden
richtigerweise zwischen einem sozialtechnischen und einem
hermeneutischen Anwendungsbegriff und meinen mit
letzterem das Verständnis von Wirtschaftsethik als "angewandter
Ethik" - Rath schlägt dafür den Begriff der "Praxeologie"
vor - gegen mich verteidigen zu müssen. Gegen ein
hermeneutisches Anwendungsverständnis habe ich jedoch
nichts einzuwenden, vielmehr habe ich es an anderer Stelle
selbst ausdrücklich postuliert (Ulrich 1999a: 83). Nur stellt
die hermeneutische Interpretation der situativen Bedeutung
des Moralprinzips bzw. allgemeiner moralischer Grundsätze
in einem speziellen Kontext letztlich nichts anderes als eine
Begründung bzw. Kritik von Geltungsansprüchen dar. Und
dabei ist eben der oben erwähnte Reflexionsstopp vor dem
normativen Binnengehalt der (un-) "reinen" ökonomischen
Vernunft zu vermeiden, ganz im Sinn der von Conill (1993:
423) postulierten "Kritik der unreinen Vernunft". Allerdings
konstatiere ich seit Jahren immer wieder, dass die meisten
erklärten Vertreter einer sich als "angewandte Ethik" verstehenden
Wirtschaftsethik, Technikethik usw. zu entsprechenden
Reflexionsabbrüchen tendieren (zur analogen Kritik der nicht
seltenen Fiktion einer ethisch neutralen Techno-Logik auch
noch in der Technikethik vgl. Ulrich 1998a). Einer "kritischen
Hermeneutik", wie sie Conill (5) zu Recht postuliert,
müsste es demgegenüber gerade darum gehen, normative Tiefenstrukturen
des Vorverständnisses eines Handlungsfelds
kritisch-normativer Argumentation zugänglich zu machen und
damit in der Tat einem erfahrungsnahen, "besseren Verstehen
der Sachlogik" (4) dieser Handlungssphäre zuzuarbeiten.
Genau dies meine ich in Form der umfassenden Kritik des
normativen Gehalts der "reinen" ökonomischen "Sachlogik"
einerseits und der Grundlagenreflexion des Wirtschaftens als
eines sich geschichtlich stets verändernden, kulturell und
ethisch-politisch gestaltungsbedürftigen "Lebenssachverhalts"
(HA 34) andererseits recht konsequent zu betreiben. Und
dies ist eben gerade nicht, wie Conill (7) in klarer Fehldeutung
des integrativen Ansatzes meint, der bloße Versuch, "die
amoralische Welt der ökonomischen Ratio zur moralischen
Welt der moral-praktischen Vernunft zu bringen". (Die verflixte
"angewandte Ethik" lässt grüßen.)
((16)) Integrative Wirtschaftsethik kommt erklärtermaßen als
vorbehaltlose Grundlagenreflexion, als Orientierung im Denken
zur Praxis, nicht in Form der pragmatischen "Anwendung"
einer erklärenden Theorie, was neben Werner (11f.) besonders
auch Ulrich Kazmierski (8) und Thomas Retzmann
(6) anerkennen. Dennoch vermissen auch sie - übrigens gegensätzlich
zu Suchanek (6), der in formalistischer Fehldeutung
der Diskursethik als bloßer Verfahrensethik deren gänzliche
praktische Enthaltsamkeit verlangt (als ob sie keine unmittelbaren
ethisch-politischen Implikationen hätte!) - in gewisser
Weise den Anwendungs- oder Praxisbezug: Kazmierski
(11ff.) und Retzmann (2ff.) vergleichen die integrative
Wirtschaftsethik mit meinem elf Jahre früher publizierten Entwurf
einer "praktischen Sozialökonomie" (Ulrich 1993: 341ff.)
und konstatieren beide zutreffende Akzentverlagerungen. Standen
damals die paradigmatischen Umrisse eines anderen Verständnisses
von Ökonomik im Vordergrund, die mit veränderter
erkenntnisleitender Perspektive ansetzt, so widmet sich
das jüngere Werk (Ulrich 1998) erheblich gründlicher den
philosophisch-ethischen Begründungsfragen und ihren ökonomismuskritischen
Implikationen. Dass damit aber das seinerzeit
definierte Ziel der "konzeptionellen Aufbereitung und
kritischen Begleitung lebenspraktischer Diskurse" verfehlt
würde, wie Kazmierski (11) befürchtet, glaube ich nicht, auch
wenn ich gerne zugestehe, dass der Hauptartikel diesen Eindruck
provozieren mag, da er sich bewusst auf die Grundlagen
des Ansatzes konzentriert und daher die meisten konkreteren
Probleme, wie sie sich an den verschiedenen "Orten"
der Moral des Wirtschaftens stellen, gar nicht thematisiert
worden sind (HA 47f.). Zweifellos sind solche Erörterungen
konkreter oder spezieller wirtschaftsethischer Fragen, wie sie
Werner (12f.) und Retzmann (5f.) benennen, ein wichtiges
Bewährungsfeld für jeden Ansatz - darauf wird unten in Teil
VI noch zurückzukommen sein. Doch mit Werner (11) sage
ich: first things first, please. Was aber ist, wenn wir einmal
von der wissenschaftsinternen Bedeutung solcher Grundlagenreflexion
absehen, in praktischer Absicht "first"?
((17)) Das vorrangige Kriterium der praktischen Relevanz
moderner Ethik sehe ich darin, ob sie pädagogisch dazu beizutragen
vermag, die (Wirtschafts- und Staats-) Bürger und
Bürgerinnen ein Stück weit aus ihrer Sprachlosigkeit und argumentativen
Ohnmacht vor dem die öffentliche Debatte immer
mehr beherrschenden ökonomistischen Jargon zu emanzipieren,
sie also mündiger zu machen, wie Retzmann als
Wirtschaftspädagoge am klarsten erkannt hat. Mit anderen
Worten: Es geht um staats- und wirtschaftsbürgerliche Bildung
im Lichte vernünftig begründbarer und kulturgeschichtlich
als "stark" ausgewiesener aufklärerischer Ideale. Diesen
Anspruch moderner Pädagogik halte ich mit Retzmann für
unverzichtbar, auch wenn Birger P. Priddat (8) darin nurmehr
eine "bürgerharmonistische Vernunftstimmung" zu erkennen
vermag und meinen ganzen Ansatz als "intellektuell
langweilig" geißelt, da er sich in einer "Bedienung abendländischer
Moralgesinnung ohne Modernisierungsprospekt" (2)
erschöpfe. Das ist zugegebenermaßen cooles Neudeutsch.
Solche zeitgeisttrendige Geringschätzung klassisch-moderner
Bildungsansprüche der Formung einer persönlichen Haltung
scheint mir jedoch mit der Überschätzung sozialtechnischer
Methoden der Verhaltenssteuerung, die man "in konkreten
Regeln applizieren" (9) kann, einherzugehen. Ich bekenne freimütig:
"Langweilig" finde ich eher solchen geistigen Instrumentalismus,
der intellektuellen Widerstand gegen den breiten
Strom des Zeitgeists vermissen lässt, aber deswegen keineswegs
"realistisch" ist. Denn nachhaltig praktisch wirkt in
der modernen Gesellschaft niemals allein das Machbare, sondern
zuallererst das Denkbare, das die Köpfe der Menschen
zu inspirieren und ihre Intentionen zu prägen vermag. Das
schließt wohlgemerkt den demokratisch von freien Bürgern
legitimierten Einsatz (ordnungs-) ethisch orientierter institutioneller
Verhaltensanreize und Regeln nicht etwa aus, sondern
ein.
((18)) Dementsprechend kommen, wie wiederum Retzmann
(2) zusammen mit Rath (10) und Werner (7) zutreffend herausstellt,
die praktischen Konsequenzen des wirtschaftsbürgerlichen
Bildungsanspruchs ganz wesentlich zum Ausdruck
im (so m.W. bisher international in keinem anderen
bekannten wirtschaftsethischen Ansatz akzentuierten) Selbstverständnis
der integrativen Wirtschaftsethik als ein Stück
politische Ethik. Als solche versucht sie eben nicht den "angewandten"
Direktzugriff von der Ethik zu unmittelbaren
Gestaltungsvorschlägen für die Wirtschaftswelt, sondern klärt
erst einmal sorgfältig ihr Vorverständnis von einer wohlgeordneten
Gesellschaft freier und gleicher Bürger und von der
angemessenen Rolle des Wirtschaftssystems für diese. Der
Primat der Ethik wiederholt sich so im Primat der Politik,
womit das nächste Reizwort gefallen ist.
((19)) Dass sich die Vernunftidee des Primats ethisch orientierter
Politik vor der Logik des Marktes bis auf die aristotelische
"Matrix" des Verhältnisses von Ethik, Politik und Ökonomik
zurückführen lässt, weiß Priddat (3) natürlich zutreffend
zu berichten. Na und? Gewiss genügt Aristoteles' unkritisches,
im Kohlberg'schen Sinn konventionell bleibendes
Ethikverständnis nicht den Anforderungen moderner philosophischer
Ethik; doch das bedeutet noch lange nicht, dass
seine erwähnte Verhältnisbestimmung obsolet sei. Eher halte
ich sie für eine unaufgebbare regulative Idee, in deren Lichte
die moderne Wirtschafts-, Gesellschafts- und Staatsphilosophie
mehr denn je gefordert ist. Wie denn sonst sollten die
real fortschreitende Verselbständigung des eigendynamischen
Wirtschaftssystems und die tendenzielle Verkehrung der sachgemäßen
Ordnung der Dinge (interessenbasierte "Realpolitik",
nurmehr verstanden und betrieben als Fortsetzung privater
Geschäfte mit anderen Mitteln; vgl. HA 32) auf der Ebene
der Orientierung im Denken eingeholt werden? Und wer denkt
hier, wenn er wie Priddat (4) resignativ auf Systemzwänge
verweist ("Ich bin mir nicht sicher, ob Systeme wie die ‚Wirtschaft'
so mit sich umspringen lassen ... als ob sie zähmbar
sind"), eigentlich "ohne Modernisierungsprospekt" (2)?
((20)) Die Systemmetaphysiker linker und rechter Provenienz,
die in naturrechtlicher Tradition seit mehr als 200 Jahren
nach einer moralfrei funktionierenden Systemlösung des
ethisch-politisch-ökonomischen Problems - rechterseits nach
einem perfekten "System des geordneten Egoismus" (HA 42)
- suchen, haben bisher jedenfalls keine überzeugende Alternative
zum Primat ethisch orientierter Politik aufzuzeigen
vermocht. Im aristotelischen Anspruch ethisch-politisch integrierter
Ökonomie einen "linken Fehler" erkennen zu wollen,
wie Kirchgässner (5) es tut, ist insofern ein origineller, wenn
auch philosophiegeschichtlich uninformierter Einwand, der
nicht zuletzt das uneingelöst gebliebene (und durchaus aristotelische!)
Kernanliegen der politischen Ökonomie Adam
Smiths gründlich verfehlt (s. dazu Seifert 1991). In diesem
Sinne nimmt auch Sturn (6) als ausgewiesener Smith-Kenner
Adam Smith ausdrücklich in Schutz. Wenn Kirchgässner
im Übrigen den dargelegten Integrationsanspruch gleichsetzt
mit der "Annahme, dass man den Marktmechanismus
fast beliebig zugunsten anderer Koordinationsmechanismen
ausschalten könne" (Hvh. P.U.), so missachtet er - ganz abgesehen
von der durch nichts belegten Suggestion, dass ich
dies wolle - auch die kategoriale Differenz zwischen einer
regulativen Idee (Orientierungswissen) und Aussagen über
pragmatisch Machbares (Verfügungswissen).
((21)) Den politisch-philosophisch grundlegenden und unaufgebbaren
Anspruch der ethisch-politischen Legitimation und
Limitation der eigensinnig wirkenden Marktkräfte auf diese
Weise in eine pauschale Feindschaftlichkeit gegenüber der
Marktwirtschaft umzudeuten, besagt wohl mehr über das
schwierige (Nicht-) Verhältnis mancher zeitgenössischer Ökonomen
zur politischen Philosophie als über meine vermeintliche
Position. Wohltuenden Ausnahmen wie Reinhard Blum
(7), der den unauflöslichen Zusammenhang zwischen dem
Primat der Politik und einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung
bekräftigt, stehen erstaunlich undifferenzierte
Reaktionen gegenüber, die dem "Primat der politischen
Ethik vor der Logik des Marktes" (HA 32) sogleich in mehr
oder weniger platter Form den Totalitarismusverdacht entgegenschleudern;
so wiederum Kirchgässner (12) aufgrund
seiner unkritischen, naturalistischen Einstellung zu gegebenen
Präferenzen (6f.) und Lachmann (12) aufgrund seines
Unvermögens, zwischen politischem Liberalismus und real
nicht mehr existierendem Staatssozialismus einen Unterschied
zu sehen. Mit Verlaub: Wie unbedarft da tendenziell dem vulgären
Credo des politischen Ökonomismus - freier Markt
gleich Instanz der Freiheit, Staat gleich Inbegriff der Unfreiheit
- gehuldigt wird, ist symptomatisch für die allzu weit
gediehene Entfremdung der "modernen" Ökonomik von der
mindestens so modernen politischen Philosophie und für die
resultierende Reduktion des politischen Liberalismus auf einen
rein ökonomischen Liberalismus. Auf diese bedeutsame
Differenz habe ich im Hauptartikel (32, 44ff.) vielleicht schon
fast mit einem gewissen "republikanischen Freiheitspathos"
aufmerksam zu machen versucht, wie Friedhelm Hengsbach
(5) in reizvollem Kontrast zum Vorwurf eines "linken Fehlers"
moniert. Unbeirrt von solchen beidseitigen Abgrenzungsbedürfnissen
bestreitet dagegen Weimann (7) einfach jegliche
Differenz zwischen dem politisch-ethischen und dem "ökonomischen
Freiheitsbegriff".
((22)) Ich erlaube mir deshalb nochmals auf den wohl wichtigsten
Grund für die Bedeutsamkeit der Unterscheidung zwischen
politischem (republikanischem) und ökonomischem
Liberalismus hinzuweisen, der unter den Kritikern nur von
Sturn (7) als "bedeutsames Problem" gewürdigt worden ist:
Es ist die Nichtneutralität oder strukturelle Parteilichkeit der
Logik des Marktes gegenüber kulturellen Lebensentwürfen und
Wertorientierungen (HA 24, 35). Der Wirtschaftsliberalismus
bringt diese implizite Parteilichkeit des "freien" Marktes, dessen
Funktionsprinzip ja die normative Logik des Vorteilstausches
ist (HA 18, 31), mehr oder weniger uneingeschränkt
zur Geltung und ist eben deshalb ein (partei-) politisches Programm.
Demgegenüber besteht das Ideal des politischen Liberalismus
auf der Linie von John Rawls (1992: 375ff.) gerade
in der Neutralität (d.h. Unparteilichkeit und Differenzverträglichkeit)
der politischen Ordnung bezüglich der Konzeptionen
des Guten, die in einer offenen Gesellschaft stets im
Plural vorkommen (vgl. auch Ulrich 1998: 247ff.). Zwar handelt
es sich hierbei einmal mehr um eine pragmatisch nie ganz
einholbare regulative Idee, wie Werner (13) zutreffend anmerkt;
aber das ändert nichts an der praktischen Aufgabe
ethisch orientierter Politik, den Markt durch die differenzierte
Gestaltung der unantastbaren personalen Rechte aller Wirtschaftsbürger,
der in die einzelwirtschaftlichen Kalküle eingehenden
Rechnungsnormen und der den Markt begrenzenden
Randnormen (HA 38, eingehender Ulrich 1998: 367ff.)
in das Leitbild einer wohlgeordneten Gesellschaft freier und
gleicher Bürger einzubinden. Auf diese Weise gilt es die Marktwirtschaft
bestmöglich zu zivilisieren - auf nationaler und
infolge der Globalisierung der Märkte heute vordringlich auf
supranationaler Ebene (dies gegen Kurers (16) Gleichsetzung
des staatlichen Gestaltungsanspruchs mit einer "Politik der
Isolierung"). Nicht diese politisch-philosophisch reflektierte
Position, sondern gerade umgekehrt die ethisch-politisch nicht
begründbare, da weltanschaulich nicht neutrale Generalpräferenz
für den Marktmechanismus als gesellschaftlichem
Koordinationsmechanismus spiegelt "unter dem Deckmantel
der Wissenschaft" ein bloßes "persönliches Werturteil"
(Kirchgässner (2)). Aber natürlich sind für jeden ethischen
Subjektivisten - so u.a. auch für Engel (5) und Kurer (14) -
ohnehin alle ethischen Gesichtspunkte bloß subjektiv und somit
vernünftig nicht begründbar.
((23)) Anderer und differenzierterer Art, aber dennoch leicht
zu entkräften ist der Einwand, den Conill (8) erhebt. Er meint,
ich hielte "eine idealisierte Vision der Politik einer Vision der
Wirtschaft, so wie diese tatsächlich abläuft, gegenüber", widerlegt
aber diese Fehlinterpretation gleich selbst, indem er
zutreffend darauf hinweist, dass nach meiner Auffassung "das
systematische Kernproblem der Wirtschaftsethik ... in der
Klärung des Verhältnisses zwischen zwei konkurrierenden
normativen Handlungslogiken besteht" (6), also die kategorialen
Differenzen zweier beidseits idealisierender Modellierungen
betrifft. Dabei übersieht Conill offenbar eine entscheidende
Asymmetrie zwischen idealem Markt (im Sinne des
ökonomischen Liberalismus) und idealer politischer Ordnung
(im Sinne des politischen Liberalismus): Der "ideale" Markt
kann aus den oben ((22)) genannten Gründen keinen ethisch
bzw. politisch-philosophisch begründbaren normativen Geltungsanspruch
erheben. Die politisch-liberale Konzeption einer
wohlgeordneten Gesellschaft freier Bürger ist dagegen eine
vernunftethisch begründete regulative Idee politischer Philosophie
und hat per se mit "übermäßigem Vertrauen in die Politik"
nichts zu tun, auch wenn Conill (8) vor solchem natürlich
zu Recht warnt. Mit dem Problem, zwischen den Orientierungsideen
"idealer" Politik und der Realpolitik praktisch
zu vermitteln, befassen sich heute Konzepte deliberativer Politik,
auf deren normativen und empirischen Gehalt zugegebenermaßen
im Hauptartikel (47) nicht hinreichend eingegangen
werden konnte (vgl. dazu Ulrich 1998: 305ff., ordnungspolitisch
"angewandt" 359ff.).
((24)) Im Unterschied zum oben erläuterten Selbstverständnis
der integrativen Wirtschaftsethik als ein Stück politische
Philosophie und Ethik scheinen verschiedene Kritiker mit dem
Begriff ‚Ethik' einen rein individual- oder tugendethischen
Zugang zu assoziieren und einen solchen auch aus dem Hauptartikel
herauszulesen. Das mag jenen so erscheinen, die nach
dem Homann'schen Konzept den systematischen "Ort" der
Moral des Wirtschaftens in der Rahmenordnung des Marktes
sehen und von daher durch die Betonung der Rolle der Wirtschaftsbürgerethik
in der Topologie des integrativen Ansatzes
(HA 42ff.) irritiert sind. Sie übersehen dabei jedoch, dass
in diesem Ansatz an allen drei systematischen Orten der Moral
(Wirtschaftsbürger, Unternehmen und Ordnungspolitik) je
schon in sich eine Verschränkung individual- und institutionenethischer
Momente postuliert wird. Der einseitigen Fokussierung
der ordnungspolitischen Restriktionen und gleichzeitigen
Freistellung der individuellen Intentionen von jeglicher
Moralzumutung, wie sie für das moralökonomische Paradigma
charakteristisch ist, wird im integrativen Ansatz wegen
der inneren Inkonsistenz einer (Institutionen-) Ethik ohne
Moral nicht gefolgt (HA 43); vielmehr wird den Wirtschaftsakteuren
in den Grenzen der individuellen Zumutbarkeit ein
Stück republikanische Selbstbindung und Mitverantwortung,
insbesondere ordnungspolitische Mitverantwortung, abverlangt
(HA 46). Mehrere Kritiker - so insbesondere Blum (6),
Lumer (2f.), Quaas (6), Rath (9), Sturn (6) und Werner (9)
- stimmen mir in diesem systematisch wichtigen Punkt nachdrücklich
zu und tragen gute Argumente gegen einen einseitig
regel- und institutionenethischen bzw. -ökonomischen
Ansatz vor, die ich hier nicht zu wiederholen brauche. Nur
auf einen Aspekt sei im nächsten Absatz kurz die Aufmerksamkeit
gelenkt.
((25)) Ethisches Handeln ist nun einmal nicht ablösbar von
der prinzipiellen Bereitschaft zur autonomen Selbstbeschränkung
des eigennützigen Vorteils- und Erfolgsstrebens aus Einsicht
in legitime Ansprüche anderer. Wie beispielsweise Rath
(2) klar gesehen hat, ist insofern Ethik ihrem Wesen nach
stets eine "Zumutung"; diese ihrerseits legitim (also zumutbar)
zu halten, ist gerade die entscheidende Aufgabe ordnungsethischer
Sachzwangbegrenzungspolitik (HA 26). Wer demgegenüber
wie Pies (12) jegliche "Zumutung ..., gegen eigene
Interessen verstoßen zu sollen", pauschal zurückweist und
dies gar noch mit der "Würde des Menschen" zu begründen
können glaubt, der müsste erst mal zeigen, wie eine rein interessenbasierte
Konzeption von Ordnungspolitik in die Rahmenordnung
des Marktes einen wirklich ethischen Gehalt
hineinzaubert und wie er im politischen Prozess der Gestaltung
dieser Rahmenordnung mit dem Zumutbarkeitsproblem
umzugehen gedenkt. Als bisher einziger Vertreter des moralökonomischen
Ansatzes der Homann'schen Prägung konzediert
Aufderheide (8) aus der Einsicht in diesen Zusammenhang
und ausdrücklich "gegen die Auffassung anderer Ökonomen",
es könne "sehr wohl Einzelnen empirisch die Verletzung
ihrer eigenen Interessen ‚zugemutet' werden: beim Übergang
zu einer besseren institutionellen Regelung nämlich."
Indem er hiermit die Notwendigkeit ethischer Kategorien
wenigstens punktuell, nämlich genau im Sinne des Postulats
ordnungspolitischer Mitverantwortung eingesteht, durchbricht
er - und das ist bemerkens- und anerkennenswert - erstmals
vonseiten der moralökonomischen "Schule" den Reduktionismus
einer strikt interessenbasierten Position.
((26)) Die "Klausel der Zumutbarkeit" ist im Übrigen entgegen
Suchanek (5) keineswegs "gehaltlos", sondern steht exakt
für die ethische Bedingung der Reversibilität der wechselseitigen
Ansprüche zwischen Akteuren und Betroffenen wirtschaftlichen
Handelns im idealen gedanklichen Rollentausch
(Legitimitätskriterium der unparteilichen Austauschbarkeit der
Perspektiven; vgl. HA 10, 12). Dabei besteht eine Symmetrie
zwischen dem Aspekt der Zumutbarkeit moralischer Ansprüche
Betroffener oder Dritter an den Akteur einerseits und der
Verantwortbarkeit der Auswirkungen des vom Akteur angestrebten
Tuns im Lichte der moralischen Rechte aller Betroffenen
andererseits. Verantwortungsbewusste Wirtschaftsakteure
werden sich daher umgekehrt auch nur eine Selbstbeschränkung
ihrer Interessenverfolgung zumuten lassen, wo die sie
begründenden Ansprüche ihrerseits als legitim ausweisbar
sind. Integre Wirtschaftsakteure sind also weder pure Egoisten,
die (mit Pies) jeglichen Verzicht auf Selbstbeschränkung ihres
eigeninteressierten Tuns a priori als unzumutbar betrachten,
noch hoffnungslos weltfremde Altruisten, die mit fliegenden
Fahnen in heroischer Selbstaufopferung unterzugehen bereit
sind. Ihr Prinzip ist vielmehr das der ethisch integrierten Erfolgsorientierung
(HA 12). Blum (5) und Heinz Lampert (10)
haben das besonders klar gesehen, wobei Letzterer in dieser
Leitidee durchaus zutreffend den erkenntnisleitenden Gesichtspunkt
der integrativen Wirtschaftsethik erblickt.
((27)) Diese zentrale Leitidee integrativer Wirtschaftsethik,
die im sozialökonomischen Rationalitätskonzept ihre diskursethisch
basierte Ausformung erhält und als der spezifische
moral point of view einer Vernunftethik des Wirtschaftens
begriffen werden kann (HA 13), scheint für Köpfe, die von
der Axiomatik der neoklassischen Ökonomik her denken, bisweilen
schwer nachvollziehbar zu sein. Anders ist kaum zu
erklären, weshalb die Leitidee der ethisch integrierten Erfolgsorientierung
von mehreren Kritiker ökonomischer Provenienz
in unzutreffender Weise mit einer grenzenlos altruistischen
Position, mit einem "Appell an einen idealtypischen Menschen"
(Dietzfelbinger (10)) und damit mit der "Verkennung
der Natur des Menschen" (Kirchgässner (6)) gleichgesetzt
wird. Dem korrespondiert dann die ebenso unzutreffende
Unterstellung, der Autor der integrativen Wirtschaftsethik
konfundiere das Rationalitätskonzept des Homo oeconomicus
mit purem Egoismus (Haslinger (5), ebenso Kurer (5)
und in zurückhaltenderer Form auch Kurt W. Rothschild (4))
- als ob die Unterscheidung von Egoismus und Altruismus
auf dem Boden der ökonomischen Axiomatik irgendeinen Sinn
machte. Macht sie aber nicht, denn H.O. handelt im Unterschied
zu realen Menschen höchstens quasimoralisch, wenn
er das tut, was ihm oder den reinen Ökonomen als "altruistisch"
erscheint, weil er "dabei ein gutes Gefühl hat" (Peter
Weise (7)). Dass dies mit dem moralischen Gesichtspunkt im
Sinne einer modernen Vernunftethik wenig zu tun hat, dürfte
inzwischen klar sein. Im Übrigen ist es eine durchaus offene
empirische Frage, ob die Modellannahmen der H.O.-Welt "realistischer"
sind als die so ganz andere Rationalitätsunterstellung
oder -zumutung moderner Ethik. Denn als moralisches
Wesen, das er immer auch ist, kann der Mensch potentiell
nach (Vernunft-) Gründen handeln, die mit der wechselseitigen
zwischenmenschlichen Achtung und Anerkennung zu tun
haben, und er handelt auch viel häufiger so, als manche Ökonomen
wahrhaben wollen. Empirische Studien bestätigen die
Vielfältigkeit der Motive für ethisch-moralisches Engagement
(vgl. z.B. Rottländer 1999) und widerlegen so allzu einfache
Behauptungen über die angeblich in erster Linie eigennützige
"Natur" des Menschen, wie sie uns Kirchgässner (6) apodiktisch
vorhält. Nicht nur Philosophen und Sozialwissenschaftler,
sondern auch disziplinär offene Ökonomen wie etwa Weise
(10) halten dies zunehmend für eine "verkürzte Sicht"; sie
erhalten dafür immer stärkere Belege auch vonseiten der experimentellen
Ökonomie (vgl. z.B. Fehr/Gächter/Kirchsteiger
1997).
((28)) Die Schwierigkeiten nicht weniger Kritiker mit dem
vorgängig nochmals aufgezeigten erkenntnisleitenden moralischen
Gesichtspunkt der integrativen Wirtschaftsethik dürften
symptomatisch und exemplarisch für die Schwierigkeiten
des interdisziplinären Diskurses zwischen (Wirtschafts-) Ethik
und Ökonomik sein. Denn sich einzulassen auf eine ethischkritische
Grundlagenreflexion des ökonomischen Denkens
geht denjenigen, die sich als Fachvertreter mit der Axiomatik
dieses Denkens mehr oder weniger identifizieren, natürlich
an die Nieren, wenn ich es etwas salopp formulieren darf.
Dieser für bestimmte Positionen der Ökonomik offensichtlich
und zugegebenermaßen identitätsbedrohliche Zuschnitt
der integrativen Wirtschaftsethik ist die unausweichliche systematische
Konsequenz aus ihrem erkenntnisleitenden Interesse.
Oder in den trefflichen Worten von Quaas (2): "Die ökonomische
Ratio, auf die Ökonomen so stolz sind, weil sie mit
ihr ein methodologisches Instrument besitzen, das von anderen
Disziplinen mehr oder weniger anerkannt und im Gefolge
des ökonomischen Imperialismus in das eigene Wissenschaftsgebiet
internalisiert wurde (...), diese stolze Bastion steht wieder
einmal auf dem Prüfstand, nun aus dem Blickwinkel der
Wirtschaftsethik." Der grundlagenkritische Zugang, also das
Aufdecken des normativen Gehalts der ökonomischen Sachlogik,
"rührt ... zweifelsohne an eines der sensiblen Streitthemen,
auf die sich die meisten Repräsentanten der Mainstream-
Ökonomie ... nur ungern einlassen ..."
((29)) Entsprechend vielfältig und teilweise emotionsgeladen
sind die mobilisierten Abwehrstrategien. Einige haben wir
oben schon kennen gelernt. Am einfachsten macht es sich die
immunisierende Abwehr, die in der Ökonomismuskritik bloß
eine Anhäufung von "Missverständnissen" sieht, so besonders
Pies (5), der es sich daher erspart, auf meine Argumente
überhaupt einzugehen, und stattdessen - neben unsachlichen
"Nettigkeiten" (3) über mich (1, 2, 4) - nur einmal mehr die
Standardsätze der normativ-ökonomischen Theorie repetiert.
Gleichgerichtet behauptet Weimann (10) pauschal, die Ökonomismuskritik
schaffe sich ein "ideologisches Konstrukt, auf
das sich" - Lachmann (3) würde beifügen: "mit der ethischen
Vernunftkeule" - "trefflich einschlagen lässt, das nur leider
nichts mit dem zu tun hat, was sich innerhalb der ökonomischen
Disziplin abspielt". Mit solcher Generaldiskreditierung
der unbequemen Grundlagenreflexion wird die Ökonomik
schlicht gegen die Kritik immunisiert, nicht argumentativ verteidigt.
Die normativistische Abwehr tritt sachlicher an. Sie
glaubt einen Grossteil der Ökonomismuskritik mit dem Hinweis
erledigen zu können, dass eine "ideale Marktwirtschaft
ohne externe Effekte" selbst schon einen ethisch hinreichenden
normativen Gehalt ausweise, wie Weise (5) es als "ökonomische
Sicht" formuliert, ohne diese aber selbst zu verabsolutieren.
Doch der ethischen Problematik marktinterner
Effekte scheint auch er sich nicht recht bewusst zu sein (vgl.
dazu Ulrich 1998: 194, 355; Thielemann 1996: 273ff.). Wie
wir oben in den Absätzen ((8)) und ((9)) schon gesehen haben,
verbirgt sich hinter dieser normativen Aufladung des idealtypisch
perfekten Marktes nichts anderes als das (politischethisch
keineswegs hinreichende) tauschvertragliche Gesellschaftskonzept
(vgl. HA 31). Die empiristische Abwehr zieht
sich demgegenüber auf die Position einer empirisch-analytisch
orientierten Wirtschaftstheorie zurück, die nach Rothschild
(3) vermeintlich "keiner ethischen Hinterfragung [bedarf]",
was allerdings die Pointe der integrativen Wirtschaftsethik,
eben die ethisch-kritische Grundlagenreflexion der ökonomischen
Theorie als einer immer schon normativen Idealtheorie,
verfehlt. Die pragmatistische Abwehr behauptet
schließlich, Wirtschaftsethik sei nur als interessenbasierte "Anreizethik"
(Kirchgässner (12)) akzeptabel; es gehe - die Homann-
Schule lässt grüßen - nicht um Begründungs-, sondern
um Implementierungsfragen. - Wohlgemerkt begnügt sich nur
ein kleiner Teil der Kritiker mit solchen Abwehr- und Ausgrenzungsstrategien.
Gleichwohl scheint an der Feststellung
von Aufderheide (2) etwas dran zu sein, die neoklassische
Ökonomik, von deren Vertreter solche auffallend defensiven
Reaktionen fast ausschließlich zu beobachten sind, befinde
sich derzeit "im Rückwärtsgang". Wenn die wirtschaftsethische
Grundlagenreflexion einen Beitrag zur Aufweichung der
von ethischen Kategorien so sehr entfremdeten (und sich gegen
sie teilweise immunisierenden) neoklassischen Axiomatik
und zur Entwicklung einer besser fundierten Sozialökonomik
leisten könnte, so wäre dies durchaus im Sinne ihres erkenntnisleitenden
Interesses.
a) Allgemeine wissenschaftsprogrammatische Desiderate
((30)) Ob eine Wirtschaftsethik im Sinne des integrativen Ansatzes
eine zweckmäßige Programmatik und Architektur aufweist
oder nicht, kann man natürlich je nach dem vorausgesetzten
erkenntnisleitenden Interessengesichtspunkt verschieden
beurteilen; gerade aus diesem Grund ist darauf im vorangegangenen
Teil V speziell eingegangen worden. Je nachdem
ergibt sich auch eine unterschiedliche Sicht der Defizite oder
noch anstehenden Forschungsaufgaben. Zwei deutliche Perspektiven
lassen sich dabei auseinanderhalten: Man könnte
analog zu den Grundkonzepten von Ökonomie von einer
aspekt- und einer bereichsbezogenen Definition von Wirtschaftsethik
sprechen. Die erstgenannte Perspektive definiert
ihren Erkenntnisgegenstand im Unterschied zur zweiten nicht
durch den Gesellschaftsbereich ‚Wirtschaft', sondern durch
den ökonomischen Aspekt im Allgemeinen, so wie es die reine
Ökonomik tut.
((31)) Diese aspektbezogene Definition von Wirtschaftsethik
liegt implizit dem Programm der integrativen Wirtschaftsethik
zugrunde, denn diese setzt ja systematisch mit der ethischkritischen
Grundlagenreflexion über den normativen Gehalt
der ökonomischen Ratio als solcher an und erstreckt sich auf
den ökonomischen Rationalismus (Ökonomismus) in allen Lebens-
und Gesellschaftsbereichen, was übrigens mit ein bisher
noch nicht erwähnter Grund gegen das Verständnis so
konzipierter Wirtschaftsethik als "angewandte" (und das heißt
wohl immer: bereichsbezogene) Ethik ist. Man kann natürlich
mit Rath (10) in Frage stellen, ob es zweckmäßig ist,
einen nicht bereichsbezogenen Ansatz von Wirtschaftsethik
überhaupt als ‚Wirtschaftsethik' zu bezeichnen. Dafür spricht
m.E. vor allem, dass der aspekt- oder rationalitätsbezogene
Zugang eine vertiefende Auseinandersetzung mit dem Bereich
der institutionalisierten Wirtschaft oder einzelner Handlungsfelder
ja keineswegs ausschließt. Deshalb ist der Schluss von
Rath, mein Festhalten am Begriff ‚Wirtschaftsethik'schließe
die Betrachtung anderer Handlungsfelder als das der Wirtschaft
aus, voreilig. Vielmehr schließt der auf den ökonomischen
Aspekt bezogene integrative Ansatz im Prinzip alle Wissenschafts-
und Handlungsfelder ein, die faktisch oder potentiell
Gegenstand ökonomischer Rationalisierungsprozesse
sind, beispielsweise die Ökonomisierung der Politik (politischer
Ökonomismus) in Theorie und Praxis. Insofern wird
Wirtschaftsethik ein wirklich inter- oder gar transdisziplinäres
Programm, das in dem Maß wächst oder schrumpft, wie
der ökonomische Imperialismus voranschreitet oder zurückgedämmt
wird.
((32)) Auf ein etwas anderes Forschungsdesiderat der so verstandenen
integrativen Wirtschaftsethik weisen Hengsbach
(2, 4) und Sturn (8) hin. Es betrifft die Ausweitung der ethischkritischen
Grundlagenreflexion über das derzeit (noch) dominierende
neoklassisch-vertragstheoretische Paradigma hinaus
auf andere Ansätze der politischen Ökonomie, um dem realen
Pluralismus wirtschaftswissenschaftlicher Ansätze gerecht zu
werden. Allerdings halte ich es gemäß dem schon zitierten
Motto first things first durchaus für sachgerecht, sich zuerst
und besonders intensiv dem paradigmatisch "härtesten" sowie
wissenschafts- und wirtschaftspolitisch mächtigsten Ansatz,
eben dem neoklassischen, zu widmen. Den entsprechenden
ethisch-kritischen Argumentationsdruck auf die international
herrschende ökonomische Doktrin auszuüben, halte ich
entgegen Hengsbach nicht unbedingt für einen "Kampf gegen
Windmühlen", sondern wenn schon für einen Kampf, dann
eher für den in der Höhle des Löwen - nämlich am intellektuellen
Ort, wo gegenwärtig bestimmt wird, was als "ökonomisch
vernünftig" zu gelten hat und was nicht, und zwar für
die Theorie und für die Praxis. Dieser begriffs- und ideologiekritische
Zugang setzt selbstverständlich den integrativen
Leitgedanken, die ökonomische Ratio als solche ethisch zu
integrieren (sozialökonomische Rationalitätsidee), implizit
schon voraus. Wenn Wolfgang Lempert (4) fragt: "Wohnen
der wirtschaftlichen Vernunft als solcher wirklich moralische
Rücksichten inne, zumindest latent?", so ist das natürlich mit
ihm als Faktum zu verneinen, aber als normativer Anspruch
an eine wohlverstandene ökonomische Vernunft und an die
Disziplin, die diese entfaltet, zu bekräftigen: Wirtschaftsethik
muss den "Kopf" des Löwen, eben das ökonomische Rationalitätsverständnis,
fokussieren, wenn sie sich nicht mit der ohnmächtigen
Rolle des "sachfremden" Anredens gegen dieses
begnügen und die ökonomistischen Fehler, die aus dem
Reflexionsabbruch vor ihm und vor der Logik des "freien"
Marktes methodisch unkontrollierbar und daher fast unvermeidlich
resultieren, in Kauf nehmen will.
((33)) Geht man hingegen von einer bereichsbezogenen Definition
von Wirtschaftsethik aus, so kommt ein anderes Forschungsdesiderat
in den Blick: Mit Rath (7f.) und Retzmann
(5f.) kann man sich eine Konkretisierung der grundlegenden
wirtschaftsethischen Einsichten in Bezug auf spezielle Handlungsfelder
wünschen. Auch der von letzterem hervorgehobenen
Förderung eines je berufsfeldbezogenen Ethos (professionelle
Ethik) ist zuzustimmen. In der Architektur der integrativen
Wirtschaftsethik ist das durchaus vorgesehen und
z.T. ansatzweise schon ausgeführt, vor allem hinsichtlich der
Ordnungsethik, der Unternehmensethik und der Führungsethik
(Ulrich 1999b) sowie z.B. der ethischen Orientierung der Arbeitspolitik
(Ulrich 1997a, 2000) und der Entwicklungspolitik
(Ulrich 1999c). Dabei geht es aber m.E. primär stets um die
Orientierung im problemfeldbezogenen wirtschaftsethischen
Denken und weniger um die Bereitstellung "anwendbarer"
Problemlösungen. Weshalb Retzmann (4) diese Gewichtung
bedauert, ist mir angesichts seiner weiter oben ((16f.)) charakterisierten
pädagogischen Haltung nicht recht einsichtig.
Wirtschaftsethik ist nun einmal keine Sozialtechnik für gute
Zwecke, sondern ein Stück Anstrengung ethisch-praktischer
Vernunft. Dies ist m.E. der Kern ihrer "Problemorientierung"
(Retzmann (6)) in konkreten gesellschaftlichen Problemfeldern,
nicht etwa ein Verzicht auf eine entsprechende "Ausdifferenzierung"
wirtschaftsethischer Reflexion.
b) Spezielle Desiderate
((34)) Wenden wir uns nun noch einigen weiteren Forschungsdesideraten
zu, auf die von einzelnen Kritikern hingewiesen
wird. Ein solches erblicken einige von ihnen im Bereich der
(Wirtschafts-) Ethik des guten Lebens. So moniert Werner
(13) den allzu raschen Rückbezug der Sinnfrage des Wirtschaftens
auf Gerechtigkeitsfragen. Das trifft teilweise zu - nur teilweise
insofern, als in der Architektur der integrativen Wirtschaftsethik
immerhin die "Sinnfrage und die "Legitimitätsfrage"
gleichrangig nebeneinandergestellt werden (Ulrich
1998: 207ff.). Einerseits hat der monierte Rückbezug mit dem
lexikalischen Vorrang der Gerechtigkeit als der gleichen größtmöglichen
Freiheit aller im Konzept des politischen bzw. republikanischen
Liberalismus und dem modernen Bürgeranspruch
der Entfaltung von "Sinn aus Freiheit" (HA 35) zu tun, wobei
ich gerne Hengsbach (3) zustimme: "Beide Ethiken sind nicht
ineinander überführbar, aber dennoch aufeinander bezogen."
Andererseits spiegeln sich darin die Schwierigkeiten der Entfaltung
einer modernen (Vernunft-) Ethik des guten Lebens, die
recht formal bleiben muss, wie etwa Seel (1995) in seinem
m.E. sehr überzeugenden Werk gezeigt hat: Allein die Form
des guten Lebens ist universalistischen Überlegungen zugänglich
und bedürftig; die inhaltliche Ausfüllung sehe ich weniger
als "theoretische" denn als praktisch-kulturelle Frage.
((35)) Mit der Reflexion über Formen des guten Lebens stellt
auch die Frage nach dem von da aus zu klärenden wünschenswerten
Wirtschaftsstil eine tief verwurzelte kulturelle Thematik
dar. Darauf weisen zu Recht sowohl Lampert (11) als auch
Lempert (1f.) hin. Als formales Konzept zu dessen Thematisierung
habe ich vorgeschlagen, zwischen den beiden Stufen
einer (elementaren) Ökonomie des Lebensnotwendigen und
einer (fortgeschrittenen) Ökonomie der Lebensfülle zu unterscheiden,
die sich an - nicht oder nur teilweise verallgemeinerungsfähigen
- kulturellen Lebensidealen statt nur am produktivistischen
und konsumistischen Ziel der Verfügbarmachung
einer immer größeren Güterfülle orientiert (HA 37).
Schramm (12) hat als Theologe im Begriff der Lebensfülle
ein biblisches Wort wiedererkannt und sieht darin ein Symptom
für den Charakter meiner entsprechenden Ausführungen
als einer "Moralpredigt" (3). Mir scheint allerdings, er
verwechselt hier selbst die "paränetische" Form einer inhaltlich
wertorientierten Predigt mit der argumentativen Form der
(Wissenschafts-) Programmatik, die notwendigerweise inhaltlich
das Meiste offen lässt. Und mit dem "Glauben an den
‚moral point of view'" hat die philosophische Methode dessen
reflexiver "Explikation" entgegen Schramm (7) nun wirklich
nichts zu tun. Außerdem irrt er sich in der Meinung, es
handle sich beim Begriff der Lebensfülle um ein originär biblisches
Wort; vielmehr findet sich dieses schon in der praktischen
Philosophie der alten Griechen, so etwa bei Epikur, und
zwar durchaus in der von mir intendierten formalen und universalistischen
Verwendungsweise. Epikur weist nämlich darauf
hin, "dass jedes Lebewesen (...) nach dem ihm gemäßen
Daseinszustand strebt, in dem es die möglichst größte Fülle
des Lebens genießt" (1973: 25). Immer wieder neu zu bestimmen,
was dies in unserer abendländischen Tradition für
uns und unseren Wirtschaftsstil aktuell bedeuten mag, also
die Entfaltung einer zeitgemäßen und zukunftsweisenden teleologischen
Wirtschaftsethik, ist zweifellos ein wichtiges Forschungsdesiderat.
Um nur einige exemplarische Ansatzpunkt
zu nennen: Es geht angesichts der rasch fortschreitenden Produktivität
unserer Volkswirtschaften um eine neue Balance zwischen
produktiver Arbeit und in sich selbst sinnvollen Formen
des Tätigseins, der zwischenmenschlichen Interaktion,
des Spiels und der Kontemplation (Seel 1995: 138ff.). Es geht
von da aus um ein zeitgemäß ausgewogenes Verhältnis zwischen
Güterwohlstand und "Zeitwohlstand" (Scherhorn 1995)
im Lichte eines näher zu klärenden Leitbilds einer "Kulturgesellschaft
der befreiten Zeit", wie ich im Anschluss an Gorz
(1989: 136) zu formulieren gewagt habe (Ulrich 1998: 226).
Und es geht nicht zuletzt um die Überprüfung der Gewichtung
von marktvermittelter Erwerbswirtschaft und lebensweltlicher
(Selbst-) Versorgungswirtschaft (Biesecker 1998). Alles
"Paränese" oder was?
((36)) Am Begriff des Wirtschaftsstil knüpft auch Dietzfelbinger
(8ff.) an, indem er das "Stilkonzept" der Sozialen
Marktwirtschaft im Sinne von Alfred Müller-Armack als das
"Zukunftsmodell von Wirtschaftsethik" propagiert, das die
Aufgabe der Integration der konfligierenden ethischen und
ökonomischen Rationalität weit besser löse als der hier vertretene
integrative Ansatz, da es die von diesem seiner Meinung
nach betriebene Polarisierung (4) zwischen "Moralismus auf
der einen Seite und Ökonomismus auf der anderen Seite" vermeide
(10). Dessen wäre ich mir aber in dieser (nicht besonders
"stilvollen") Pauschalität nicht so sicher. Denn die Offenheit
des Stilgedankens der Sozialen Marktwirtschaft ist zwar
ihre pragmatische Stärke, aber auch ihre konzeptionelle Schwäche.
Im zeitgenössischen Härtetest des globalen Wettbewerbs
der Standorte und der Rahmenordnungen hat dieses "Stilkonzept"
jedenfalls keine besondere Orientierungskraft bewiesen
und wenig gegen die Ausbreitung des politischen Ökonomismus
zu leisten vermögen. Mit Quaas (7) bin ich der
Meinung, dass das "Konzept der Sozialen Marktwirtschaft ...
beschädigt und verfremdet worden (ist) durch eben jenes Phänomen
... (des) Ökonomismus"; dies aber nicht etwa nur in
seiner praktischen Umsetzung, sondern eben schon in seiner
unscharfen konzeptionellen Anlage hinsichtlich des ordnungspolitischen
Umgangs mit dem ethisch-ökonomischen Rationalitätenkonflikt,
wie ich an anderer Stelle am Beispiel des
doppeldeutigen Kriterium der "Marktkonformität" von Ordnungspolitik
zu zeigen versucht habe (Ulrich 1998: 352-358).
In der gründlichen wirtschaftsethischen Neudurchdringung
dieser ganzen Problematik ist - in Absicht auf die klarere
Fundierung und Orientierung einer in jedem Sinne "vitalen"
Ordnungspolitik - zweifellos ein besonders bedeutsames Forschungsdesiderat
zu erkennen.
((37)) Aus der Perspektive der integrativen Wirtschaftsethik
ist zu diesem Zweck - weit über die wiederum zu unscharfe
Eucken'sche Formel von der "Interdependenz der Ordnungen"
hinausgreifend (Nutzinger (8)) - zunächst einmal das
(im Ordo- und mehr noch im jüngeren Neoliberalismus ökonomistisch
verkürzte) Liberalismusverständnis politisch-philosophisch
weiterzuentwickeln (vgl. dazu jetzt auch Quaas
2000: 173ff.). Genau dafür vermag m.E. das vorgeschlagene
Konzept des republikanischen Liberalismus einiges zu leisten.
Denn eine lebensdienliche Marktwirtschaft bedarf wie gezeigt
von Grund auf der systematischen Einbettung in das Leitbild
einer wohlgeordneten Gesellschaft freier und gleicher Bürger,
die sich ein Stück "Bürgersinn", d.h. ein angemessenes
Maß von moralischer Selbstbindung und republikanischer
Mitverantwortung für die Qualität der Rahmenordnung des
Marktes, zumuten lassen (HA 44ff.). Dem Konzept des republikanischen
Liberalismus korrespondiert die regulative Idee
deliberativer Ordnungspolitik, die m.E. einen grundlegenden
Beitrag zur Überwindung des (in bestimmten naturrechtlichen
Traditionen wurzelnden) nicht ganz unproblematischen Verhältnisses
auch des Ordoliberalismus zur demokratischen
Gesellschaft leisten kann (vgl. Quaas 2000: 194ff.; Ulrich
1998: 359ff.). In diesen Zusammenhang passt auch Sturns
(2) Hinweis auf das Arrow'sche Unmöglichkeitstheorem
(Arrow 1973), das aber eben nur auf der axiomatischen Prämisse
"gegebener" individueller Präferenzen, von der die neoklassische
Ökonomik und Wohlfahrtstheorie ausgeht, als solches
erscheint. Denn die Pointe des deliberativen Demokratiekonzepts
besteht ja gerade darin, dass der demokratische Prozess
nicht erst der Mehrheitsbestimmung, sondern schon der
Klärung und u.U. republikanisch-selbstkritischen Veränderung
der individuellen Präferenzen im "öffentlichen Vernunftgebrauch"
(Kant) dient und entsprechend diskursfördernd zu
institutionalisieren ist (vgl. Ulrich 1993: 211ff.; ders. 1998:
310ff.). Arrow liefert also gerade den entscheidenden wohlfahrtstheoretischen
Grund für den konzeptionellen Übergang
zu einem deliberativen Modell von (Ordnungs-) Politik.
((38)) Die entgegen Dietzfelbinger offenbar doch eher beschränkte
Integrationskraft des Konzepts der Sozialen Marktwirtschaft
betrifft neben den neuen sozialen und demokratischen
Fragen auch die nach wie vor ungelöste ökologische
Frage. Mit ihr kommt die vorsorgende Perspektive eines nachhaltigen
Wirtschaftsstils in den Blick, der die möglichen Entwürfe
des guten Lebens für die nachfolgenden Generationen
offen lässt (Zukunftsverantwortung). Entsprechende Reflexionen
im Hauptartikel vermisst zu Recht Fritz Reheis (2ff.).
Dort hat der Raum gefehlt, um auch noch die Position der
integrativen Wirtschaftsethik in der voraussetzungsreichen
Debatte um die Grundlagen einer modernen Ethik des Umgangs
mit der Natur zu entfalten. An anderen Stellen ist das
durchaus geschehen (Ulrich 1989, 1991a, 1996, 1997b,
1998b). Ich kann auch hier den der integrativen Wirtschaftsethik
korrespondierenden sozialökologischen Problemzugang
nur anzudeuten. Er geht von einem diskursethisch explizierbaren
schwachen, epistemischen Anthropozentrismus aus
(Bayertz 1987; Groh 1996) und integriert die ökologische
Dimension des Wirtschaftens in den ethisch-politisch-ökonomischen
Diskurs über vernünftiges Wirtschaften. Zu thematisieren
sind dabei u.a. die drei (republikanisch-liberal begründbaren)
ordnungspolitischen Ansatzpunkte ökologischer Bürgerrechte,
Rechnungs- und Randnormen (vgl. oben, Absatz
22). Als regulative Idee kann der Begriff der Nachhaltigkeit
Orientierung geben, wenn er als deontologisch-ethische Kategorie
intergenerationeller wie internationaler Gerechtigkeit
reinterpretiert wird: Als ‚nachhaltig' (sustainable) sind
jene und nur jene Handlungsweisen zu definieren, die im Lichte
der zu bestimmenden unveräußerlichen ökologischen Grundrechte
aller Menschen, auch der zukünftigen Generationen,
universalisierbar sind (Ulrich 1997b: 107). Zweifellos stellt
sich hier bezüglich des gesellschaftlich-wirtschaftlichen "Stoffwechsels"
mit der Natur (Reheis (2)) ein Forschungsdesiderat,
zu dem eine zukunftsweisende Wirtschaftsethik ihren Beitrag
zu leisten hat.
((39)) Einleitend hatte ich die provokative Qualität einer interdisziplinären
Debatte im Rationalitätenkonflikt zweier so
epochaler Rationalisierungs- und Modernisierungsprogramme
wie des ökonomischen und des ethisch-politischen angesprochen.
In der teilweisen Heftigkeit des intellektuellen Streitgesprächs
spiegelt sich die reale Wucht des zeitgenössisch
tatsächlich stattfindenden Zusammenpralls zweier grundlegender
Modernisierungsstränge (HA 19). Akademische Souveränität
ist unter solchen Umständen wohl an der Fähigkeit zu
bemessen, die entscheidenden Momente in ihren geistes- und
realgeschichtlichen Tiefenstrukturen und Zusammenhängen zu
durchschauen und begrifflich prägnant auf den Punkt zu bringen.
Wird solches methodisch diszipliniert ad rem betrieben,
so kann gerade die vorbehaltlos kritische Zuspitzung der Argumente
dem Kritisierten ebenso wie den Kritikern nur Gewinn
bringen. Weise (1) hat die Stilform, um die es in einer
die Sache treffenden Kritik geht, schön ausgedrückt: Es geht
naturgemäß vor allem darum, die Thesen eines Autors "nicht
... zu loben ..., sondern ihn zu kritisieren (und den Verfasser
unbeschädigt zu lassen)." Auch wenn einzelne Kritiker - aufmerksame
Leser und Leserinnen bedürfen hier keiner Namenshinweise
- in vielleicht etwas weniger souveräner Weise immunisierende
Rhetorik, unbelegte Unterstellungen ad personam
oder gar Erörterungen über meine geistige Befindlichkeit
ins Feld führten, darf ich am Ende sagen, dass meine Argumente
im großen Ganzen ernst genommen und sachbezogen
diskutiert worden sind und ich mich verdankenswerterweise
entsprechend "unbeschädigt" fühle.
((40)) Die hier versuchte systematische Form der Replik hat
zwei "systematische" Nachteile: Zum Ersten konnten die einzelnen
Kritiken nicht als solche in ihrer systematischen Anlage
und Gewichtung gewürdigt und nicht alle Kritikpunkte
aufgegriffen werden. Und zum Zweiten fanden jene Autoren,
die in ausgeprägter Weise kritisiert haben, häufiger Erwähnung
als jene, die mir in weitgehender sachlicher Übereinstimmung
vorwiegend Bekräftigung und "Lob" entgegengebracht
haben. Immerhin habe ich auch ausgewählte zustimmende
Voten zitiert, die mir für die Klärung der Sachfragen
besonders sachdienlich schienen. Ergänzend sei hier generell
für die insgesamt unerwartet vielseitige argumentative Unterstützung
gedankt. Diese ist weniger für einen allmählich "Altgedienten"
wie den Schreibenden als vielmehr für Nachwuchsforscher
und -forscherinnen nötig, die den Mut haben, sich
akademisch mit einer grundlagenkritischen Programmatik der
hier vertretenen oder ähnlicher Art zu exponieren. Um der
Sache willen braucht es - so meine ich wenigstens - heute
eine Wirtschaftsethik, die sich unopportunistisch, ja vorbehaltlos
kritisch in die wirkungsmächtige ökonomische Denkungsart,
wie sie in der Fachdisziplin der Ökonomik geübt
wird, einmischt. Denn Ökonomik ist, wo sie der praktischen
Orientierung dient, immer schon - von den Klassikern ganz
richtig bezeichnete - politische Ökonomie. Sie verdient als
solche die gründliche Prüfung im wirtschaftsethischen Elchtest:
Die ökonomische Vernunft ist gesellschaftlich zu wichtig,
als dass man ihre Definition und "rationalisierende" Geltendmachung
den (niemals ganz) "reinen" Ökonomen überlassen
dürfte.