Peter Ulrich


Replik. Integrative Wirtschaftsethik im Rationalitätenkonflikt


EuS 11(2000)4 631 ff.


I. Vorbemerkung: Zur paradigmatischen Provokation eines interdisziplinären Rationalitätenkonflikts

((1)) Nach der Ausarbeitung meines Hauptartikels nagten in mir zunächst leichte Zweifel, ob der (vom beschränkten Umfang diktierte) stark programmatische Charakter und hohe Verdichtungsgrad, in dem die umfassend angelegte Konzeption der integrativen Wirtschaftsethik präsentiert wurde, überhaupt genügend Ansatzpunkte für kontroverse Auffassungen und Ansichten bieten würde. Die Sorge hat sich als gegenstandslos erwiesen: Die paradigmatischen Inkommensurabilitäten zwischen Ethik und Ökonomik bzw. zwischen verschiedenen, jeweils primär von der einen oder der anderen Disziplin her "denkenden" Ansätzen der Wirtschaftsethik sind so erheblich, dass auch nach mittlerweile bald 15 Jahren wirtschaftsethischer Debatte selbst in grundlegenden Fragen kaum Annäherungen stattgefunden haben. Immerhin sind inzwischen die systematischen Differenzen zwischen den konkurrierenden "Schulen" recht präzise herausgearbeitet, und viel mehr ist gerade in interdisziplinären Kontroversen kaum zu erwarten. Interdisziplinarität - häufig postuliert, aber selten wirklich praktiziert - ist in der hoch arbeitsteiligen Wissenschaftsproduktion ein schwieriges und unbequemes Geschäft, denn sie stellt, sobald wir uns als disziplinär geprägte Personen auf andere Disziplinen und deren Rationalitätsmuster wirklich einlassen, naturgemäß immer unsere eigene akademische Identität ein Stück weit in Frage.

((2)) Auf diese paradigmatische Provokation, die m.E. zum interdisziplinären Diskurs gehört, lässt sich erfahrungsgemäß verschieden reagieren: mit unterschiedlichen Graden des Sich- Einlassens auf "fremde" Begrifflichkeiten, Argumente und Theoreme, aber auch in verschiedenen Stilformen. Die meinem Hauptartikel gewidmeten 28 Kritiken decken das ganze Spektrum ab. Der erfreulicherweise klar überwiegenden Zahl jener Kritiker verschiedener disziplinärer Herkunft, die auf die vorgelegte Konzeption und Argumentation ernsthaft eingetreten sind, gilt ganz unabhängig von ihrer Zustimmung oder Ablehnung mein besonderer Respekt und Dank. Der kleinen Zahl von Autoren, die sich mehr über meinen für sie offenbar ganz oder teilweise abwegigen Entwurf aufgeregt als in den argumentativen Diskurs eingelassen haben, sei nachsichtig zugestanden, dass m.E. wissenschaftliches Engagement ohne Emotionen kaum vital wäre. Gewisse "Tonlagen" in den entsprechenden Beiträgen haben mir daher viel öfter ein Schmunzeln entlockt als mich ärgerlich gestimmt. Wo Letzteres ausnahmsweise der Fall war, werde ich mich im einen oder anderen Fall nicht scheuen, es durchblicken zu lassen und die Gründe dafür zu benennen. Im Übrigen halte ich es für ergiebiger, meine Antworten auf die Kritiken gemäß den systematischen Schwerpunkten der aufgeworfenen Sachfragen zu gruppieren. Die Transparenz der gewählten Struktur dürfte durch die Gliederung des Textes gegeben sein, so dass ich hier auf eine Vorschau verzichte. Da auf die Kritiker und die Kritikerin durchweg mehrfach in verschiedenen Kontexten Bezug genommen wird, sind deren Namen zwecks leichterer Auffindbarkeit stets fett gesetzt. Bei der Ersterwähnung wird der Vorname aufgeführt, danach jeweils weggelassen.

II. Zum Vorverständnis von philosophischer Ethik

a) Schwierigkeiten mit dem moral point of view moderner Vernunftethik

((3)) Ob die philosophische Ethik heute in der Lage ist, einen Vernunftstandpunkt der Moral zu begründen, ist bekanntlich nach wie vor umstritten. Vertreter des so genannten "Nonkognitivismus" in der Ethik lehnen dies als rationale Denkmöglichkeit rundweg ab. Insbesondere auch Wissenschaftler, deren Wissenschaftsverständnis vom Kritischen Rationalismus geprägt ist, sind ethische Nonkognitivisten. Da diese szientistische Position gerade bei Ökonomen, die ihre Disziplin primär als empirisch-analytische Wissenschaft (in theoretisch erklärender Absicht) verstehen, verbreitet ist, gehört es zu den Standardschwierigkeiten einer "kognitivistisch", d.h. in Kant'scher Tradition als Vernunftethik ansetzenden Wirtschaftsethik, schon bezüglich des wissenschaftlichen Status ihres Bemühens im Allgemeinen am Unwissenschaftlichkeitsoder gar Ideologieverdacht von dieser Seite anzustoßen. Im Speziellen richtet sich die Ablehnung regelmäßig gegen die Diskursethik, wobei diese allerdings diverse landläufige, offenbar nicht auszurottende Fehlinterpretationen erleidet, die in der Literatur hinlänglich diskutiert worden sind und auf die ich hier nicht im Einzelnen eingehen kann: das konkretistische Missverständnis eines von ihr vermeintlich vertretenen "Konsensprinzips"; das utopistische Missverständnis der regulativen Idee des Diskurses als einer weltfremden Überforderung; das pragmatistische Missverständnis derselben regulativen Idee als eines "anwendbaren" Verfahrens; das kontraktualistische Missverständnis als strategisches Bargaining, usw. usf. (vgl. dazu Ulrich 1996: 34ff.; ders. 1998: 78ff.).

((4)) Nach Gerhard Engel (4) kann man auf dieser Linie von "einer Philosophie, der es noch nicht einmal gelungen ist, sich vom Rechtfertigungsdenken zu lösen und damit aus Kants Schatten herauszutreten", von vornherein nichts anderes erwarten, als dass sie "konzeptionell noch im 19. Jahrhundert lebt" und sich "an intellektuellen Altlasten orientiert", womit expressis verbis und ad personam Habermas gemeint ist. Eine Wirtschaftsethik mit "Niveau" (!) müsste nach Engels Meinung auf einer "subjektivistischen Konzeption der Ethik" aufbauen und davon ausgehen, "dass man es auch als einen moralischen Wert ansehen kann (und m.E. auch sollte), jedem Individuum die Verfolgung seiner Interessen zuzugestehen" (5). Logischerweise deutet er auch die Diskursethik als bloß subjektive Präferenz der "Diskursethiker". Diese geraten ihm folglich unter den Autoritarismusverdacht, "unter sich ausmachen" zu wollen, "was ethisch ‚tragfähig' ist"; sie würden die "subjektivistischen Ethiker" ignorieren statt sie in den Diskurs zu integrieren. Nicht weit davon entfernt, wittert Werner Lachmann die "Gefahr einer ethischen Diktatur" (8) vonseiten der Diskursethiker, die dann natürlich auch den Anspruch einer Vernunftethik des Wirtschaftens höchst fragwürdig erscheinen lässt (5). Gebhard Kirchgässner geht als Kritischer Rationalist aus von der "Annahme, dass eine (ethische?? P.U.) Aussage dann als wahr gelten soll, wenn sie den Tatsachen entspricht", und kommt von da aus zum Schluss, dass eine "kognitivistische Ethik ... nicht möglich" sei, was jedoch ein Fehlschluss ist, da Ethik keine empirisch-analytische Theoriebildung betreibt. Er empfiehlt, Wirtschaftsethik habe "in vernünftiger Zurückhaltung" sich mit "hypothetischen Imperativen kluger Interessenwahrung" zu begnügen (1), womit er schlicht die ethischpraktische Vernunftidee auf die ökonomische Rationalitätsperspektive reduziert. Der Pauschalverdacht, dass eine anders ansetzende (Wirtschafts-) Ethik "dem Totalitarismus Vorschub leisten" (12) müsste, ist auch bei ihm nicht weit weg. Bei allen drei erwähnten Kritikern steht dieser Verdacht wie gezeigt für die Verkennung oder Nichtanerkennung des eigenständigen philosophisch-ethischen Rationalitätsanspruchs und damit für die generelle Ablehnung einer normativen Wirtschaftsethik mit wissenschaftlichem Status überhaupt.

((5)) "Kognitivistisch" gegen solche Positionen eines ethischen Subjektivismus aus argumentieren zu wollen, erweist sich erfahrungsgemäß als ebenso zwecklos wie der elementare Hinweis, dass die "Nonkognitivisten" ja wohl für ihre eigenen Argumente sehr wohl einen "kognitiven" Geltungsanspruch erheben und sich damit in einem pragmatischen Selbstwiderspruch befinden. Einiges wider das merkwürdige Postulat einer "nonkognitivistischen" Ethik ist bereits in der EuSDebatte zu Homann/Pies (1994) gesagt worden, so z.B. von Osterloh/Tiemann (1994). Ich begnüge mich hier deshalb mit dem Hinweis, dass der ethische Subjektivismus sich zwar in einem weiteren Sinn mit Wertfragen (als subjektiven Präferenzen) befasst, aber die für moralische Geltungsansprüche konstitutive "intersubjektive Forderungsstruktur" (Tugendhat 1993: 64), auf die ich im Hauptartikel (HA 10) eingegangen bin, und damit den moral point of view verfehlt. Sofern man unter der philosophischen Ethik jene Disziplin versteht, die - gleichsam als die Grammatik der Intersubjektivität - in ihrem Kern ein allgemeingültiges Moralprinzip zu begründen sucht, reden die "Nonkognitivisten" und "ethischen Subjektivisten" schlichtweg an der philosophischen Ethik im heute üblichen Sinn des Begriffs vorbei. Wenn sie "Ethik" sagen, meinen sie bloß ein subjektives oder konventionelles, allenfalls religiös verbürgtes Ethos.

((6)) Der unzureichende subjektivistische Ethikbegriff hat natürlich weitreichende Konsequenzen für die Einschätzung der möglichen Rolle von (normativer) Ökonomik als "Wirtschaftsethik". Dem Nonkognitivisten erscheint die Rekonstruktion von Wirtschaftsethik in terms of economics als die einzige Chance, sie auf wissenschaftlichem Niveau als "Ethik ohne Moral" anzusetzen, wie Adela Cortina (1992) das in kritischer Absicht pointiert hat, nämlich als eine ökonomisch modellierte "Ethik mit anderen Mitteln" (Homann 1994: 13). Im Prinzip sind zwei (voneinander nicht ganz unabhängige) Varianten einer auf dem ökonomischen Rationalprinzip als dem impliziten "ethischen" Prinzip aufbauenden normativen Ökonomik zu unterscheiden: utilitaristische Positionen, die das im Sinne der utilitaristischen Ethik verstandene "Gemeinwohl" als das ethische Kriterium auffassen (utilitaristisches Prinzip), und kontraktualistische Positionen, die - konsensfreudiger als die Diskursethik (!) - im faktischen Zustandekommen eines Einvernehmens (agreement) zwischen Individuen oder Parteien mit konfligierenden Interessen das ethisch hinreichende Kriterium vermuten, sofern diese Individuen ihre Präferenzen frei wählen und äußern können (Vertragsprinzip).

((7)) Eine ausdrücklich utilitaristische Position, wie sie u.a. der älteren Wohlfahrtstheorie zugrunde lag (vgl. Bohnen 1964), aber auch in allen walrasianisch-gleichgewichtstheoretischen Vorstellungen eines "volkswirtschaftlichen Optimums" durchschimmert (vgl. Ulrich 1998: 193f.), wird heute wegen der Verletzung des liberalen Prinzips durch die "kommunistische Fiktion" (Myrdal 1976) eines Kollektivnutzenkriteriums auch von fachökonomischer Seite kaum mehr vertreten. Es ist insofern vielleicht nicht ganz zufällig, dass mit Christoph Lumer (10) eher ein Fachphilosoph in m.E. allzu vager Abgrenzung vom utilitaristischen Prinzip "welfaristischen Ethiken" das Wort redet, die "die Moralität von Handlungen und Institutionen über ihre Wünschbarkeiten für alle Betroffenen definieren" und so seiner Auffassung nach problemlos "Gerechtigkeitsforderungen aufnehmen" können. Wie das ganz ohne unkritische Hinnahme gegebener Präferenzen und Machtverhältnisse zu denken ist (Status-quo-Problem; vgl. HA 23), bleibt unklar. Einen kontraktualistischen Ansatz lehnt er immerhin ab (6). Demgegenüber findet sich in den Kritiken von ökonomischer Seite der ethische Subjektivismus durchweg in der (explizit oder implizit vertretenen) Form des Kontraktualismus, der freilich untergründig die utilitaristische Fiktion eines allgemeinen Wohlfahrtsmaximums aufrecht erhält, wie man etwa bei Oskar Kurer (2, 11) nachlesen kann. Auf der axiomatischen Basis des methodologischen Individualismus redefiniert der Kontraktualismus das Gemeinwohlkriterium nur paretianisch um, womit es allerdings "frei" von jeder anderen Gerechtigkeitsidee als jener der (status-quoabhängigen, stets relativen) Tauschgerechtigkeit bleibt: Gemeinwohl ist, was für jeden Einzelnen bei gegebener Ausgangslage (an realen Optionen) nach Maßgabe seiner Präferenzen vorzüglich ist (vgl. HA 30f.).

((8)) Bei verschiedenen Kritikern, so etwa bei Detlef Aufderheide (6), Franz Haslinger (8) und Andreas Suchanek (7), kommt diese kontraktualistisch gedachte Wirtschaftsethik ohne Moral klar zum Ausdruck. Das von Letzterem genannte Ideal der "Kooperation zum gegenseitigen Vorteil" (7) wird von Aufderheide explizit als ein Verfahren zur Bestimmung von "universalisierbaren Normen" vom "moralischen Standpunkt" aus (6) fehlinterpretiert. Sein terminologischer Vorschlag, zwar für die "ökonomische Begründung (sic!) moralischer Normen", nicht aber für die "ökonomische Theorie der Implementation und Durchsetzung moralischer Normen" (die er zutreffend als "Moralökonomik" bezeichnet) den Begriff einer "ökonomischen Wirtschaftsethik" in Anspruch zu nehmen (5), ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, verfehlt aber die kategoriale Differenz zwischen philosophischer Ethik und ökonomischer Vertragstheorie noch immer. Dabei kann er sich leider ein Stück weit zu Recht auf Karl-Otto Apel berufen, der sich in einer ersten Phase der Beschäftigung mit dem ökonomischen Kontraktualismus von dessen diskretem Charme verführen ließ und die entscheidenden Differenzen zwischen "Vertragsethik" und Diskursethik (interessen- statt gerechtigkeitsbasiert; Problem der nicht zur Disposition gestellten individuellen Präferenzen; Status-quo-Problem) übersah (vgl. zu dieser Debatte den von Kuhlmann/Harpes (1997) herausgegebenen Sammelband).

((9)) Diese Differenzen, die offenbar auch Michael Schramm (10) als theologischem Ethiker fremd geblieben sind, mögen im praktischen Ergebnis nicht immer groß sein, aber sie sind eben doch kategorial bedeutsam. Ihre Vernachlässigung führt beispielsweise zu so konfusen Einwänden wie jenem von Joachim Weimann (3), wonach die "Effizienzforderung" doch wohl "eine Art ethischer Minimalkonsens" sei und ich mich daher irren würde mit der Behauptung, "dass die reine Ökonomik keine regulative Idee ethischer Vernunft anerkennt", oder zu Lachmanns (12) Frage, ob ein Ansatz, in dem "Effizienz nicht unbedingt gefordert ist ..., nicht im tiefsten unethisch ist" - als ob Effizienz eine sine-qua-non-Bedingung des Moralprinzips wäre. Eine solche normative Überhöhung des Effizienzkriteriums ist, wie Hans G. Nutzinger (9) treffend formuliert, "mehr Problemanzeige als Problemlösung, denn (...) die Beschränkung auf das Pareto-Kriterium (...) unterstellt stillschweigend, dass möglichst alle sozialen Beziehungen nach dem Muster des Tausches gestaltet sein sollten". Doch handelt es sich hier selbst um ein höchst "begründungsbedürftiges, aber nicht letztbegründbares Werturteil" (9). Richard Sturn (5) weist in diesem Zusammenhang nachdrücklich und zutreffend auf die gerechtigkeitsethische Problematik der ökonomischen "Hegemonie einer effizienzorientierten Normativität" hin. Wer sich mit einer solchen Effizienzethik nicht begnügt und nicht allein auf "bedingte Klugheitsimperative", sondern auf (kantianisch begriffene) "unbedingte, kategorische Imperative" setzt, der betreibt nach Ingo Pies (10, 14) gleichwohl eine seiner Meinung nach geradezu fragwürdige, da "moralistische Ethik"; in diesem Sinne qualifiziert sich die integrative Wirtschaftsethik in der Tat als "eine mit Moral identifizierte und sogar infizierte Ethik".

b) Zum Primat der Ethik

((10)) Es versteht sich nach allem Gesagten von selbst, dass ethische Subjektivisten die Rede vom Primat der Ethik vor ökonomischen Argumenten (HA 13) als zutiefst irritierend empfinden. Einzelne Kritiker können sich auf ihrer kategorialen und axiomatischen Basis darunter nichts anderes vorstellen als den arroganten Anspruch irgendwelcher dahergelaufener (Wirtschafts-) Ethiker, "die Ökonomik zu belehren" (Pies (13)). Im gleichen Sinn moniert Daniel Dietzfelbinger, der mein Eintreten für den Primat der Ethik als "parteiisch" (6) empfindet: "Die vielfach repetierte Behauptung vom Primat der Ethik führt nicht zu einer Integration ..., sondern ist eine Hierarchisierung der beiden Rationalitäten", und dies impliziert vermeintlich den Anspruch, "dass Ethik der Wirtschaft oktroyiert werden muss" (4). Wie sehr diese unsorgfältige Lesart gerade gegenüber dem Ansatz der integrativen Wirtschaftsethik fehlgeht, der ja als ethisch-kritische Grundlagenreflexion der ökonomischen Ratio ansetzt und somit eher "von unten" (in immanenter Selbstreflexion) als sachfremd "von oben" zu dieser kommt, möchte ich hier nicht "repetieren" (vgl. HA 2, 5). Diesbezüglich macht es sich vielleicht weniger dieser Ansatz als vielmehr Dietzfelbinger "zu bequem" (5).

((11)) Generell ist zu beachten, dass die philosophisch übliche Rede vom Primat der Ethik keinesfalls eine disziplinäre Rangordnung zwischen Ethik und Ökonomik bzw. anderen akademischen Disziplinen meint - diesbezüglich ist selbstverständlich von einer Gleichwertigkeit aller Disziplinen auszugehen - , sondern eine lexikalische Vorordnung des moral point of view vor den ökonomischen Aspekt, wie Nutzinger (16) richtig interpretiert. Das ist schlicht die logische Konsequenz des - kantianisch gesprochen - kategorischen Geltungsanspruchs des Moralprinzips, das ja für die unbedingte wechselseitige Achtung und Anerkennung aller Menschen in ihrer Würde und ihren Grundrechten um ihrer selbst willen steht und sachgemäß den Vorrang vor jeder durch irgend ein Nutzenkalkül bedingten Kooperation zwischen ihnen impliziert (vgl. Ulrich 1998: 61, 121f.). Dass der Primat der ethischen Vernunft "nicht unabhängig von der Effizienzfrage gesehen" werden kann, wie Nutzinger (13) einwendet, trifft den hier entscheidenden Punkt nicht. Diesbezüglich stimme ich mit Löhr (1991: 255) überein: "Das ‚alte' Primat der Ethik aufzugeben, dies ist keine notwendige Konsequenz aus der Einsicht, dass auch ökonomisches Handeln notwendig ist, sondern schlichtweg die Preisgabe einer vernünftigen und umfassenden Orientierung des menschlichen Handelns überhaupt."

((12)) Zu fragen ist, warum nicht wenige Ökonomen - im Unterschied zur einzigen hier mitdiskutierenden Ökonomin, Friedrun Quaas (4), die diesbezüglich erfreulich souverän und klarsichtig ist - so viel Mühe damit haben zuzugestehen, dass es vorrangige Kriterien normativer Handlungsorientierung gibt, die nicht auch noch rein ökonomisch begründbar sind. Die Antwort offenbart sich in exemplarischer Weise bei Dietzfelbinger und erklärt wohl zugleich dessen besonders schrillen Protest gegen den Primat der Ethik. Dieser gerät nämlich dem von ihm vertretenen Primat der "systembezogenen Funktionslogik" der Marktwirtschaft ins Gehege: "Ökonomische Akteure müssen (sic!) zuallererst ihr wirtschaftliches Interesse verfolgen". Das ist ökonomischer Determinismus pur, wie ich ihn im Hauptartikel (23-27) nicht grundlos recht eingehend dargestellt und durchleuchtet habe. Wohl nicht ganz zufällig versucht Dietzfelbinger das Denkmuster, in dem er befangen ist, einfach umzukehren, indem er mir einen "ethischen Determinismus" (6) vorzuhalten versucht. Bedenkt man jedoch, was es überhaupt heißt, den Standpunkt der Moral einzunehmen - nämlich: den Standpunkt einer "durch Anerkennung intersubjektiv vermittelte(n) Freiheit" (Pieper 1991: 43) -, so belegt Dietzfelbinger mit dieser missglückten Etikettierung höchstens, dass er von moderner Vernunftethik als der normativen Logik der Zwischenmenschlichkeit oder der Grammatik des vernünftigen Zusammenlebens freier und gleicher Menschen noch nicht allzu viel begriffen haben kann (vgl. HA 8ff).

((13)) Einen differenzierteren und interessanteren Einwand gegen die "lexikographische Priorisierung" der ethisch-praktischen Vernunft vor der ökonomischen Ratio erhebt Sturn (4). Er weist darauf hin, dass die "lexikographische Priorisierung" der ethisch-praktischen vor der instrumentellen Vernunft nur "in jenen normativen Sphären ..., welche als von klaren und präzisen Normen regiert gedacht werden", hilfreich sei, nicht aber in Fragen von "Tugendpflichten" oder - diesbezüglich scheint mir der Einwand allerdings zu wenig präzis formuliert - der "Verteilungsgerechtigkeit". Ich selbst habe eine ähnliche Einschränkung, falls ich Sturns Intention richtig deute, an anderer Stelle so formuliert, dass die Differenz zwischen der Begründung allgemeiner (Rechts-) Normen und deren "Anwendung" in konkreten Situationen keineswegs für alle ethisch-moralischen Diskurse als paradigmatisch gelten kann (Ulrich 1998: 99, Fn. 12). Diesseits allgemeiner, d.h. kontextfrei definierbarer Grundnormen lassen sich die legitimen Ansprüche (moralischen Rechte) und die zumutbaren Pflichten aller Beteiligten und Betroffenen angesichts situationsspezifisch konfligierender Ansprüche stets nur kontextbezogen begründen. Genau aus diesem Grund halte ich die begriffliche Trennung zwischen Begründung und Anwendung, auch in der Habermas'schen Variante von "Begründungs-" vs. "Anwendungsdiskursen", für eine Bereichs- oder Bindestrichethik wie die Wirtschaftsethik für verfehlt. Das Geschäft "angewandter" Ethik besteht durchweg in der Reflexion über gut begründete Handlungsorientierungen - "anzuwenden" gibt es dabei insofern nichts, als der moral point of view zwar den maßgebenden normativen Gesichtspunkt abgibt, in dessen Lichte Geltungsansprüche hinsichtlich ihrer Begründbarkeit zu prüfen sind, nicht aber ein "anwendbares" analytisches Prüfverfahren darstellt.

III. Zum Praxisbezug von Wirtschaftsethik - als "angewandte Ethik"?

((14)) Meine zuletzt angesprochene Ablehnung des "Anwendungsmodells" von Wirtschaftsethik (HA 17f.) - so die frühe Formulierung des Ausschusses ‚Wirtschaftswissenschaft und Ethik' im Verein für Socialpolitik (Homann/Hesse 1988) - hat mehrfachen Widerspruch hervorgerufen. Matthias Rath (5) liest sie als eine "Diskreditierung der Angewandten Ethik" schlechthin, was aber so gegenstandslos ist, trotz mancher sachlicher Bedenken gegen das Konzept "angewandter Ethik"; Bedenken, die besonders Micha H. Werner (10ff.) teilt (vgl. auch Werner 1999) und die vielleicht auch bestärkt werden von Lumers (7) freilich anders gemeintem Einwand (gegen wen eigentlich?), dass "das diskursethische Kriterium nicht anwendbar" sei. Mir geht es dabei ausdrücklich um ein Stück Ökonomismuskritik an einem bestimmten weit verbreiteten Vorverständnis von Wirtschaftsethik, das die normative Logik des Vorteilstausches im vorgefundenen marktwirtschaftlichen Kontext flugs zur "Anwendungsbedingung" von Ethik in der Wirtschaft (v)erklärt und sie damit, gewollt oder ungewollt, schon im Ansatz aus der normativ-kritischen Grundlagenreflexion ausblendet. Genau darauf beruht der gängige "myth of amoral business" (De George 1990: 3ff.), also die Fiktion einer von Moral unberührten, "reinen" ökonomischen Logik und damit einer ethisch neutralen Sphäre des Marktes, die innerhalb bestimmter normativer Grenzziehungen ethisch problemlos sei (korrektive Wirtschaftsethik). ((15)) Rath (7) und besonders Jesús Conill (3ff.) unterscheiden richtigerweise zwischen einem sozialtechnischen und einem hermeneutischen Anwendungsbegriff und meinen mit letzterem das Verständnis von Wirtschaftsethik als "angewandter Ethik" - Rath schlägt dafür den Begriff der "Praxeologie" vor - gegen mich verteidigen zu müssen. Gegen ein hermeneutisches Anwendungsverständnis habe ich jedoch nichts einzuwenden, vielmehr habe ich es an anderer Stelle selbst ausdrücklich postuliert (Ulrich 1999a: 83). Nur stellt die hermeneutische Interpretation der situativen Bedeutung des Moralprinzips bzw. allgemeiner moralischer Grundsätze in einem speziellen Kontext letztlich nichts anderes als eine Begründung bzw. Kritik von Geltungsansprüchen dar. Und dabei ist eben der oben erwähnte Reflexionsstopp vor dem normativen Binnengehalt der (un-) "reinen" ökonomischen Vernunft zu vermeiden, ganz im Sinn der von Conill (1993: 423) postulierten "Kritik der unreinen Vernunft". Allerdings konstatiere ich seit Jahren immer wieder, dass die meisten erklärten Vertreter einer sich als "angewandte Ethik" verstehenden Wirtschaftsethik, Technikethik usw. zu entsprechenden Reflexionsabbrüchen tendieren (zur analogen Kritik der nicht seltenen Fiktion einer ethisch neutralen Techno-Logik auch noch in der Technikethik vgl. Ulrich 1998a). Einer "kritischen Hermeneutik", wie sie Conill (5) zu Recht postuliert, müsste es demgegenüber gerade darum gehen, normative Tiefenstrukturen des Vorverständnisses eines Handlungsfelds kritisch-normativer Argumentation zugänglich zu machen und damit in der Tat einem erfahrungsnahen, "besseren Verstehen der Sachlogik" (4) dieser Handlungssphäre zuzuarbeiten. Genau dies meine ich in Form der umfassenden Kritik des normativen Gehalts der "reinen" ökonomischen "Sachlogik" einerseits und der Grundlagenreflexion des Wirtschaftens als eines sich geschichtlich stets verändernden, kulturell und ethisch-politisch gestaltungsbedürftigen "Lebenssachverhalts" (HA 34) andererseits recht konsequent zu betreiben. Und dies ist eben gerade nicht, wie Conill (7) in klarer Fehldeutung des integrativen Ansatzes meint, der bloße Versuch, "die amoralische Welt der ökonomischen Ratio zur moralischen Welt der moral-praktischen Vernunft zu bringen". (Die verflixte "angewandte Ethik" lässt grüßen.)

((16)) Integrative Wirtschaftsethik kommt erklärtermaßen als vorbehaltlose Grundlagenreflexion, als Orientierung im Denken zur Praxis, nicht in Form der pragmatischen "Anwendung" einer erklärenden Theorie, was neben Werner (11f.) besonders auch Ulrich Kazmierski (8) und Thomas Retzmann (6) anerkennen. Dennoch vermissen auch sie - übrigens gegensätzlich zu Suchanek (6), der in formalistischer Fehldeutung der Diskursethik als bloßer Verfahrensethik deren gänzliche praktische Enthaltsamkeit verlangt (als ob sie keine unmittelbaren ethisch-politischen Implikationen hätte!) - in gewisser Weise den Anwendungs- oder Praxisbezug: Kazmierski (11ff.) und Retzmann (2ff.) vergleichen die integrative Wirtschaftsethik mit meinem elf Jahre früher publizierten Entwurf einer "praktischen Sozialökonomie" (Ulrich 1993: 341ff.) und konstatieren beide zutreffende Akzentverlagerungen. Standen damals die paradigmatischen Umrisse eines anderen Verständnisses von Ökonomik im Vordergrund, die mit veränderter erkenntnisleitender Perspektive ansetzt, so widmet sich das jüngere Werk (Ulrich 1998) erheblich gründlicher den philosophisch-ethischen Begründungsfragen und ihren ökonomismuskritischen Implikationen. Dass damit aber das seinerzeit definierte Ziel der "konzeptionellen Aufbereitung und kritischen Begleitung lebenspraktischer Diskurse" verfehlt würde, wie Kazmierski (11) befürchtet, glaube ich nicht, auch wenn ich gerne zugestehe, dass der Hauptartikel diesen Eindruck provozieren mag, da er sich bewusst auf die Grundlagen des Ansatzes konzentriert und daher die meisten konkreteren Probleme, wie sie sich an den verschiedenen "Orten" der Moral des Wirtschaftens stellen, gar nicht thematisiert worden sind (HA 47f.). Zweifellos sind solche Erörterungen konkreter oder spezieller wirtschaftsethischer Fragen, wie sie Werner (12f.) und Retzmann (5f.) benennen, ein wichtiges Bewährungsfeld für jeden Ansatz - darauf wird unten in Teil VI noch zurückzukommen sein. Doch mit Werner (11) sage ich: first things first, please. Was aber ist, wenn wir einmal von der wissenschaftsinternen Bedeutung solcher Grundlagenreflexion absehen, in praktischer Absicht "first"?

((17)) Das vorrangige Kriterium der praktischen Relevanz moderner Ethik sehe ich darin, ob sie pädagogisch dazu beizutragen vermag, die (Wirtschafts- und Staats-) Bürger und Bürgerinnen ein Stück weit aus ihrer Sprachlosigkeit und argumentativen Ohnmacht vor dem die öffentliche Debatte immer mehr beherrschenden ökonomistischen Jargon zu emanzipieren, sie also mündiger zu machen, wie Retzmann als Wirtschaftspädagoge am klarsten erkannt hat. Mit anderen Worten: Es geht um staats- und wirtschaftsbürgerliche Bildung im Lichte vernünftig begründbarer und kulturgeschichtlich als "stark" ausgewiesener aufklärerischer Ideale. Diesen Anspruch moderner Pädagogik halte ich mit Retzmann für unverzichtbar, auch wenn Birger P. Priddat (8) darin nurmehr eine "bürgerharmonistische Vernunftstimmung" zu erkennen vermag und meinen ganzen Ansatz als "intellektuell langweilig" geißelt, da er sich in einer "Bedienung abendländischer Moralgesinnung ohne Modernisierungsprospekt" (2) erschöpfe. Das ist zugegebenermaßen cooles Neudeutsch. Solche zeitgeisttrendige Geringschätzung klassisch-moderner Bildungsansprüche der Formung einer persönlichen Haltung scheint mir jedoch mit der Überschätzung sozialtechnischer Methoden der Verhaltenssteuerung, die man "in konkreten Regeln applizieren" (9) kann, einherzugehen. Ich bekenne freimütig: "Langweilig" finde ich eher solchen geistigen Instrumentalismus, der intellektuellen Widerstand gegen den breiten Strom des Zeitgeists vermissen lässt, aber deswegen keineswegs "realistisch" ist. Denn nachhaltig praktisch wirkt in der modernen Gesellschaft niemals allein das Machbare, sondern zuallererst das Denkbare, das die Köpfe der Menschen zu inspirieren und ihre Intentionen zu prägen vermag. Das schließt wohlgemerkt den demokratisch von freien Bürgern legitimierten Einsatz (ordnungs-) ethisch orientierter institutioneller Verhaltensanreize und Regeln nicht etwa aus, sondern ein.

((18)) Dementsprechend kommen, wie wiederum Retzmann (2) zusammen mit Rath (10) und Werner (7) zutreffend herausstellt, die praktischen Konsequenzen des wirtschaftsbürgerlichen Bildungsanspruchs ganz wesentlich zum Ausdruck im (so m.W. bisher international in keinem anderen bekannten wirtschaftsethischen Ansatz akzentuierten) Selbstverständnis der integrativen Wirtschaftsethik als ein Stück politische Ethik. Als solche versucht sie eben nicht den "angewandten" Direktzugriff von der Ethik zu unmittelbaren Gestaltungsvorschlägen für die Wirtschaftswelt, sondern klärt erst einmal sorgfältig ihr Vorverständnis von einer wohlgeordneten Gesellschaft freier und gleicher Bürger und von der angemessenen Rolle des Wirtschaftssystems für diese. Der Primat der Ethik wiederholt sich so im Primat der Politik, womit das nächste Reizwort gefallen ist.

IV. Zur Rolle der politischen Philosophie für die Wirtschaftsethik

((19)) Dass sich die Vernunftidee des Primats ethisch orientierter Politik vor der Logik des Marktes bis auf die aristotelische "Matrix" des Verhältnisses von Ethik, Politik und Ökonomik zurückführen lässt, weiß Priddat (3) natürlich zutreffend zu berichten. Na und? Gewiss genügt Aristoteles' unkritisches, im Kohlberg'schen Sinn konventionell bleibendes Ethikverständnis nicht den Anforderungen moderner philosophischer Ethik; doch das bedeutet noch lange nicht, dass seine erwähnte Verhältnisbestimmung obsolet sei. Eher halte ich sie für eine unaufgebbare regulative Idee, in deren Lichte die moderne Wirtschafts-, Gesellschafts- und Staatsphilosophie mehr denn je gefordert ist. Wie denn sonst sollten die real fortschreitende Verselbständigung des eigendynamischen Wirtschaftssystems und die tendenzielle Verkehrung der sachgemäßen Ordnung der Dinge (interessenbasierte "Realpolitik", nurmehr verstanden und betrieben als Fortsetzung privater Geschäfte mit anderen Mitteln; vgl. HA 32) auf der Ebene der Orientierung im Denken eingeholt werden? Und wer denkt hier, wenn er wie Priddat (4) resignativ auf Systemzwänge verweist ("Ich bin mir nicht sicher, ob Systeme wie die ‚Wirtschaft' so mit sich umspringen lassen ... als ob sie zähmbar sind"), eigentlich "ohne Modernisierungsprospekt" (2)?

((20)) Die Systemmetaphysiker linker und rechter Provenienz, die in naturrechtlicher Tradition seit mehr als 200 Jahren nach einer moralfrei funktionierenden Systemlösung des ethisch-politisch-ökonomischen Problems - rechterseits nach einem perfekten "System des geordneten Egoismus" (HA 42) - suchen, haben bisher jedenfalls keine überzeugende Alternative zum Primat ethisch orientierter Politik aufzuzeigen vermocht. Im aristotelischen Anspruch ethisch-politisch integrierter Ökonomie einen "linken Fehler" erkennen zu wollen, wie Kirchgässner (5) es tut, ist insofern ein origineller, wenn auch philosophiegeschichtlich uninformierter Einwand, der nicht zuletzt das uneingelöst gebliebene (und durchaus aristotelische!) Kernanliegen der politischen Ökonomie Adam Smiths gründlich verfehlt (s. dazu Seifert 1991). In diesem Sinne nimmt auch Sturn (6) als ausgewiesener Smith-Kenner Adam Smith ausdrücklich in Schutz. Wenn Kirchgässner im Übrigen den dargelegten Integrationsanspruch gleichsetzt mit der "Annahme, dass man den Marktmechanismus fast beliebig zugunsten anderer Koordinationsmechanismen ausschalten könne" (Hvh. P.U.), so missachtet er - ganz abgesehen von der durch nichts belegten Suggestion, dass ich dies wolle - auch die kategoriale Differenz zwischen einer regulativen Idee (Orientierungswissen) und Aussagen über pragmatisch Machbares (Verfügungswissen).

((21)) Den politisch-philosophisch grundlegenden und unaufgebbaren Anspruch der ethisch-politischen Legitimation und Limitation der eigensinnig wirkenden Marktkräfte auf diese Weise in eine pauschale Feindschaftlichkeit gegenüber der Marktwirtschaft umzudeuten, besagt wohl mehr über das schwierige (Nicht-) Verhältnis mancher zeitgenössischer Ökonomen zur politischen Philosophie als über meine vermeintliche Position. Wohltuenden Ausnahmen wie Reinhard Blum (7), der den unauflöslichen Zusammenhang zwischen dem Primat der Politik und einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung bekräftigt, stehen erstaunlich undifferenzierte Reaktionen gegenüber, die dem "Primat der politischen Ethik vor der Logik des Marktes" (HA 32) sogleich in mehr oder weniger platter Form den Totalitarismusverdacht entgegenschleudern; so wiederum Kirchgässner (12) aufgrund seiner unkritischen, naturalistischen Einstellung zu gegebenen Präferenzen (6f.) und Lachmann (12) aufgrund seines Unvermögens, zwischen politischem Liberalismus und real nicht mehr existierendem Staatssozialismus einen Unterschied zu sehen. Mit Verlaub: Wie unbedarft da tendenziell dem vulgären Credo des politischen Ökonomismus - freier Markt gleich Instanz der Freiheit, Staat gleich Inbegriff der Unfreiheit - gehuldigt wird, ist symptomatisch für die allzu weit gediehene Entfremdung der "modernen" Ökonomik von der mindestens so modernen politischen Philosophie und für die resultierende Reduktion des politischen Liberalismus auf einen rein ökonomischen Liberalismus. Auf diese bedeutsame Differenz habe ich im Hauptartikel (32, 44ff.) vielleicht schon fast mit einem gewissen "republikanischen Freiheitspathos" aufmerksam zu machen versucht, wie Friedhelm Hengsbach (5) in reizvollem Kontrast zum Vorwurf eines "linken Fehlers" moniert. Unbeirrt von solchen beidseitigen Abgrenzungsbedürfnissen bestreitet dagegen Weimann (7) einfach jegliche Differenz zwischen dem politisch-ethischen und dem "ökonomischen Freiheitsbegriff".

((22)) Ich erlaube mir deshalb nochmals auf den wohl wichtigsten Grund für die Bedeutsamkeit der Unterscheidung zwischen politischem (republikanischem) und ökonomischem Liberalismus hinzuweisen, der unter den Kritikern nur von Sturn (7) als "bedeutsames Problem" gewürdigt worden ist: Es ist die Nichtneutralität oder strukturelle Parteilichkeit der Logik des Marktes gegenüber kulturellen Lebensentwürfen und Wertorientierungen (HA 24, 35). Der Wirtschaftsliberalismus bringt diese implizite Parteilichkeit des "freien" Marktes, dessen Funktionsprinzip ja die normative Logik des Vorteilstausches ist (HA 18, 31), mehr oder weniger uneingeschränkt zur Geltung und ist eben deshalb ein (partei-) politisches Programm. Demgegenüber besteht das Ideal des politischen Liberalismus auf der Linie von John Rawls (1992: 375ff.) gerade in der Neutralität (d.h. Unparteilichkeit und Differenzverträglichkeit) der politischen Ordnung bezüglich der Konzeptionen des Guten, die in einer offenen Gesellschaft stets im Plural vorkommen (vgl. auch Ulrich 1998: 247ff.). Zwar handelt es sich hierbei einmal mehr um eine pragmatisch nie ganz einholbare regulative Idee, wie Werner (13) zutreffend anmerkt; aber das ändert nichts an der praktischen Aufgabe ethisch orientierter Politik, den Markt durch die differenzierte Gestaltung der unantastbaren personalen Rechte aller Wirtschaftsbürger, der in die einzelwirtschaftlichen Kalküle eingehenden Rechnungsnormen und der den Markt begrenzenden Randnormen (HA 38, eingehender Ulrich 1998: 367ff.) in das Leitbild einer wohlgeordneten Gesellschaft freier und gleicher Bürger einzubinden. Auf diese Weise gilt es die Marktwirtschaft bestmöglich zu zivilisieren - auf nationaler und infolge der Globalisierung der Märkte heute vordringlich auf supranationaler Ebene (dies gegen Kurers (16) Gleichsetzung des staatlichen Gestaltungsanspruchs mit einer "Politik der Isolierung"). Nicht diese politisch-philosophisch reflektierte Position, sondern gerade umgekehrt die ethisch-politisch nicht begründbare, da weltanschaulich nicht neutrale Generalpräferenz für den Marktmechanismus als gesellschaftlichem Koordinationsmechanismus spiegelt "unter dem Deckmantel der Wissenschaft" ein bloßes "persönliches Werturteil" (Kirchgässner (2)). Aber natürlich sind für jeden ethischen Subjektivisten - so u.a. auch für Engel (5) und Kurer (14) - ohnehin alle ethischen Gesichtspunkte bloß subjektiv und somit vernünftig nicht begründbar.

((23)) Anderer und differenzierterer Art, aber dennoch leicht zu entkräften ist der Einwand, den Conill (8) erhebt. Er meint, ich hielte "eine idealisierte Vision der Politik einer Vision der Wirtschaft, so wie diese tatsächlich abläuft, gegenüber", widerlegt aber diese Fehlinterpretation gleich selbst, indem er zutreffend darauf hinweist, dass nach meiner Auffassung "das systematische Kernproblem der Wirtschaftsethik ... in der Klärung des Verhältnisses zwischen zwei konkurrierenden normativen Handlungslogiken besteht" (6), also die kategorialen Differenzen zweier beidseits idealisierender Modellierungen betrifft. Dabei übersieht Conill offenbar eine entscheidende Asymmetrie zwischen idealem Markt (im Sinne des ökonomischen Liberalismus) und idealer politischer Ordnung (im Sinne des politischen Liberalismus): Der "ideale" Markt kann aus den oben ((22)) genannten Gründen keinen ethisch bzw. politisch-philosophisch begründbaren normativen Geltungsanspruch erheben. Die politisch-liberale Konzeption einer wohlgeordneten Gesellschaft freier Bürger ist dagegen eine vernunftethisch begründete regulative Idee politischer Philosophie und hat per se mit "übermäßigem Vertrauen in die Politik" nichts zu tun, auch wenn Conill (8) vor solchem natürlich zu Recht warnt. Mit dem Problem, zwischen den Orientierungsideen "idealer" Politik und der Realpolitik praktisch zu vermitteln, befassen sich heute Konzepte deliberativer Politik, auf deren normativen und empirischen Gehalt zugegebenermaßen im Hauptartikel (47) nicht hinreichend eingegangen werden konnte (vgl. dazu Ulrich 1998: 305ff., ordnungspolitisch "angewandt" 359ff.).

V. Zur Programmatik der integrativen Wirtschaftsethik - und zu den Abwehrstrategien gegen sie

((24)) Im Unterschied zum oben erläuterten Selbstverständnis der integrativen Wirtschaftsethik als ein Stück politische Philosophie und Ethik scheinen verschiedene Kritiker mit dem Begriff ‚Ethik' einen rein individual- oder tugendethischen Zugang zu assoziieren und einen solchen auch aus dem Hauptartikel herauszulesen. Das mag jenen so erscheinen, die nach dem Homann'schen Konzept den systematischen "Ort" der Moral des Wirtschaftens in der Rahmenordnung des Marktes sehen und von daher durch die Betonung der Rolle der Wirtschaftsbürgerethik in der Topologie des integrativen Ansatzes (HA 42ff.) irritiert sind. Sie übersehen dabei jedoch, dass in diesem Ansatz an allen drei systematischen Orten der Moral (Wirtschaftsbürger, Unternehmen und Ordnungspolitik) je schon in sich eine Verschränkung individual- und institutionenethischer Momente postuliert wird. Der einseitigen Fokussierung der ordnungspolitischen Restriktionen und gleichzeitigen Freistellung der individuellen Intentionen von jeglicher Moralzumutung, wie sie für das moralökonomische Paradigma charakteristisch ist, wird im integrativen Ansatz wegen der inneren Inkonsistenz einer (Institutionen-) Ethik ohne Moral nicht gefolgt (HA 43); vielmehr wird den Wirtschaftsakteuren in den Grenzen der individuellen Zumutbarkeit ein Stück republikanische Selbstbindung und Mitverantwortung, insbesondere ordnungspolitische Mitverantwortung, abverlangt (HA 46). Mehrere Kritiker - so insbesondere Blum (6), Lumer (2f.), Quaas (6), Rath (9), Sturn (6) und Werner (9) - stimmen mir in diesem systematisch wichtigen Punkt nachdrücklich zu und tragen gute Argumente gegen einen einseitig regel- und institutionenethischen bzw. -ökonomischen Ansatz vor, die ich hier nicht zu wiederholen brauche. Nur auf einen Aspekt sei im nächsten Absatz kurz die Aufmerksamkeit gelenkt.

((25)) Ethisches Handeln ist nun einmal nicht ablösbar von der prinzipiellen Bereitschaft zur autonomen Selbstbeschränkung des eigennützigen Vorteils- und Erfolgsstrebens aus Einsicht in legitime Ansprüche anderer. Wie beispielsweise Rath (2) klar gesehen hat, ist insofern Ethik ihrem Wesen nach stets eine "Zumutung"; diese ihrerseits legitim (also zumutbar) zu halten, ist gerade die entscheidende Aufgabe ordnungsethischer Sachzwangbegrenzungspolitik (HA 26). Wer demgegenüber wie Pies (12) jegliche "Zumutung ..., gegen eigene Interessen verstoßen zu sollen", pauschal zurückweist und dies gar noch mit der "Würde des Menschen" zu begründen können glaubt, der müsste erst mal zeigen, wie eine rein interessenbasierte Konzeption von Ordnungspolitik in die Rahmenordnung des Marktes einen wirklich ethischen Gehalt hineinzaubert und wie er im politischen Prozess der Gestaltung dieser Rahmenordnung mit dem Zumutbarkeitsproblem umzugehen gedenkt. Als bisher einziger Vertreter des moralökonomischen Ansatzes der Homann'schen Prägung konzediert Aufderheide (8) aus der Einsicht in diesen Zusammenhang und ausdrücklich "gegen die Auffassung anderer Ökonomen", es könne "sehr wohl Einzelnen empirisch die Verletzung ihrer eigenen Interessen ‚zugemutet' werden: beim Übergang zu einer besseren institutionellen Regelung nämlich." Indem er hiermit die Notwendigkeit ethischer Kategorien wenigstens punktuell, nämlich genau im Sinne des Postulats ordnungspolitischer Mitverantwortung eingesteht, durchbricht er - und das ist bemerkens- und anerkennenswert - erstmals vonseiten der moralökonomischen "Schule" den Reduktionismus einer strikt interessenbasierten Position.

((26)) Die "Klausel der Zumutbarkeit" ist im Übrigen entgegen Suchanek (5) keineswegs "gehaltlos", sondern steht exakt für die ethische Bedingung der Reversibilität der wechselseitigen Ansprüche zwischen Akteuren und Betroffenen wirtschaftlichen Handelns im idealen gedanklichen Rollentausch (Legitimitätskriterium der unparteilichen Austauschbarkeit der Perspektiven; vgl. HA 10, 12). Dabei besteht eine Symmetrie zwischen dem Aspekt der Zumutbarkeit moralischer Ansprüche Betroffener oder Dritter an den Akteur einerseits und der Verantwortbarkeit der Auswirkungen des vom Akteur angestrebten Tuns im Lichte der moralischen Rechte aller Betroffenen andererseits. Verantwortungsbewusste Wirtschaftsakteure werden sich daher umgekehrt auch nur eine Selbstbeschränkung ihrer Interessenverfolgung zumuten lassen, wo die sie begründenden Ansprüche ihrerseits als legitim ausweisbar sind. Integre Wirtschaftsakteure sind also weder pure Egoisten, die (mit Pies) jeglichen Verzicht auf Selbstbeschränkung ihres eigeninteressierten Tuns a priori als unzumutbar betrachten, noch hoffnungslos weltfremde Altruisten, die mit fliegenden Fahnen in heroischer Selbstaufopferung unterzugehen bereit sind. Ihr Prinzip ist vielmehr das der ethisch integrierten Erfolgsorientierung (HA 12). Blum (5) und Heinz Lampert (10) haben das besonders klar gesehen, wobei Letzterer in dieser Leitidee durchaus zutreffend den erkenntnisleitenden Gesichtspunkt der integrativen Wirtschaftsethik erblickt.

((27)) Diese zentrale Leitidee integrativer Wirtschaftsethik, die im sozialökonomischen Rationalitätskonzept ihre diskursethisch basierte Ausformung erhält und als der spezifische moral point of view einer Vernunftethik des Wirtschaftens begriffen werden kann (HA 13), scheint für Köpfe, die von der Axiomatik der neoklassischen Ökonomik her denken, bisweilen schwer nachvollziehbar zu sein. Anders ist kaum zu erklären, weshalb die Leitidee der ethisch integrierten Erfolgsorientierung von mehreren Kritiker ökonomischer Provenienz in unzutreffender Weise mit einer grenzenlos altruistischen Position, mit einem "Appell an einen idealtypischen Menschen" (Dietzfelbinger (10)) und damit mit der "Verkennung der Natur des Menschen" (Kirchgässner (6)) gleichgesetzt wird. Dem korrespondiert dann die ebenso unzutreffende Unterstellung, der Autor der integrativen Wirtschaftsethik konfundiere das Rationalitätskonzept des Homo oeconomicus mit purem Egoismus (Haslinger (5), ebenso Kurer (5) und in zurückhaltenderer Form auch Kurt W. Rothschild (4)) - als ob die Unterscheidung von Egoismus und Altruismus auf dem Boden der ökonomischen Axiomatik irgendeinen Sinn machte. Macht sie aber nicht, denn H.O. handelt im Unterschied zu realen Menschen höchstens quasimoralisch, wenn er das tut, was ihm oder den reinen Ökonomen als "altruistisch" erscheint, weil er "dabei ein gutes Gefühl hat" (Peter Weise (7)). Dass dies mit dem moralischen Gesichtspunkt im Sinne einer modernen Vernunftethik wenig zu tun hat, dürfte inzwischen klar sein. Im Übrigen ist es eine durchaus offene empirische Frage, ob die Modellannahmen der H.O.-Welt "realistischer" sind als die so ganz andere Rationalitätsunterstellung oder -zumutung moderner Ethik. Denn als moralisches Wesen, das er immer auch ist, kann der Mensch potentiell nach (Vernunft-) Gründen handeln, die mit der wechselseitigen zwischenmenschlichen Achtung und Anerkennung zu tun haben, und er handelt auch viel häufiger so, als manche Ökonomen wahrhaben wollen. Empirische Studien bestätigen die Vielfältigkeit der Motive für ethisch-moralisches Engagement (vgl. z.B. Rottländer 1999) und widerlegen so allzu einfache Behauptungen über die angeblich in erster Linie eigennützige "Natur" des Menschen, wie sie uns Kirchgässner (6) apodiktisch vorhält. Nicht nur Philosophen und Sozialwissenschaftler, sondern auch disziplinär offene Ökonomen wie etwa Weise (10) halten dies zunehmend für eine "verkürzte Sicht"; sie erhalten dafür immer stärkere Belege auch vonseiten der experimentellen Ökonomie (vgl. z.B. Fehr/Gächter/Kirchsteiger 1997).

((28)) Die Schwierigkeiten nicht weniger Kritiker mit dem vorgängig nochmals aufgezeigten erkenntnisleitenden moralischen Gesichtspunkt der integrativen Wirtschaftsethik dürften symptomatisch und exemplarisch für die Schwierigkeiten des interdisziplinären Diskurses zwischen (Wirtschafts-) Ethik und Ökonomik sein. Denn sich einzulassen auf eine ethischkritische Grundlagenreflexion des ökonomischen Denkens geht denjenigen, die sich als Fachvertreter mit der Axiomatik dieses Denkens mehr oder weniger identifizieren, natürlich an die Nieren, wenn ich es etwas salopp formulieren darf. Dieser für bestimmte Positionen der Ökonomik offensichtlich und zugegebenermaßen identitätsbedrohliche Zuschnitt der integrativen Wirtschaftsethik ist die unausweichliche systematische Konsequenz aus ihrem erkenntnisleitenden Interesse. Oder in den trefflichen Worten von Quaas (2): "Die ökonomische Ratio, auf die Ökonomen so stolz sind, weil sie mit ihr ein methodologisches Instrument besitzen, das von anderen Disziplinen mehr oder weniger anerkannt und im Gefolge des ökonomischen Imperialismus in das eigene Wissenschaftsgebiet internalisiert wurde (...), diese stolze Bastion steht wieder einmal auf dem Prüfstand, nun aus dem Blickwinkel der Wirtschaftsethik." Der grundlagenkritische Zugang, also das Aufdecken des normativen Gehalts der ökonomischen Sachlogik, "rührt ... zweifelsohne an eines der sensiblen Streitthemen, auf die sich die meisten Repräsentanten der Mainstream- Ökonomie ... nur ungern einlassen ..."

((29)) Entsprechend vielfältig und teilweise emotionsgeladen sind die mobilisierten Abwehrstrategien. Einige haben wir oben schon kennen gelernt. Am einfachsten macht es sich die immunisierende Abwehr, die in der Ökonomismuskritik bloß eine Anhäufung von "Missverständnissen" sieht, so besonders Pies (5), der es sich daher erspart, auf meine Argumente überhaupt einzugehen, und stattdessen - neben unsachlichen "Nettigkeiten" (3) über mich (1, 2, 4) - nur einmal mehr die Standardsätze der normativ-ökonomischen Theorie repetiert. Gleichgerichtet behauptet Weimann (10) pauschal, die Ökonomismuskritik schaffe sich ein "ideologisches Konstrukt, auf das sich" - Lachmann (3) würde beifügen: "mit der ethischen Vernunftkeule" - "trefflich einschlagen lässt, das nur leider nichts mit dem zu tun hat, was sich innerhalb der ökonomischen Disziplin abspielt". Mit solcher Generaldiskreditierung der unbequemen Grundlagenreflexion wird die Ökonomik schlicht gegen die Kritik immunisiert, nicht argumentativ verteidigt. Die normativistische Abwehr tritt sachlicher an. Sie glaubt einen Grossteil der Ökonomismuskritik mit dem Hinweis erledigen zu können, dass eine "ideale Marktwirtschaft ohne externe Effekte" selbst schon einen ethisch hinreichenden normativen Gehalt ausweise, wie Weise (5) es als "ökonomische Sicht" formuliert, ohne diese aber selbst zu verabsolutieren. Doch der ethischen Problematik marktinterner Effekte scheint auch er sich nicht recht bewusst zu sein (vgl. dazu Ulrich 1998: 194, 355; Thielemann 1996: 273ff.). Wie wir oben in den Absätzen ((8)) und ((9)) schon gesehen haben, verbirgt sich hinter dieser normativen Aufladung des idealtypisch perfekten Marktes nichts anderes als das (politischethisch keineswegs hinreichende) tauschvertragliche Gesellschaftskonzept (vgl. HA 31). Die empiristische Abwehr zieht sich demgegenüber auf die Position einer empirisch-analytisch orientierten Wirtschaftstheorie zurück, die nach Rothschild (3) vermeintlich "keiner ethischen Hinterfragung [bedarf]", was allerdings die Pointe der integrativen Wirtschaftsethik, eben die ethisch-kritische Grundlagenreflexion der ökonomischen Theorie als einer immer schon normativen Idealtheorie, verfehlt. Die pragmatistische Abwehr behauptet schließlich, Wirtschaftsethik sei nur als interessenbasierte "Anreizethik" (Kirchgässner (12)) akzeptabel; es gehe - die Homann- Schule lässt grüßen - nicht um Begründungs-, sondern um Implementierungsfragen. - Wohlgemerkt begnügt sich nur ein kleiner Teil der Kritiker mit solchen Abwehr- und Ausgrenzungsstrategien. Gleichwohl scheint an der Feststellung von Aufderheide (2) etwas dran zu sein, die neoklassische Ökonomik, von deren Vertreter solche auffallend defensiven Reaktionen fast ausschließlich zu beobachten sind, befinde sich derzeit "im Rückwärtsgang". Wenn die wirtschaftsethische Grundlagenreflexion einen Beitrag zur Aufweichung der von ethischen Kategorien so sehr entfremdeten (und sich gegen sie teilweise immunisierenden) neoklassischen Axiomatik und zur Entwicklung einer besser fundierten Sozialökonomik leisten könnte, so wäre dies durchaus im Sinne ihres erkenntnisleitenden Interesses.

VI. Desiderate wirtschaftsethischer Forschung

a) Allgemeine wissenschaftsprogrammatische Desiderate

((30)) Ob eine Wirtschaftsethik im Sinne des integrativen Ansatzes eine zweckmäßige Programmatik und Architektur aufweist oder nicht, kann man natürlich je nach dem vorausgesetzten erkenntnisleitenden Interessengesichtspunkt verschieden beurteilen; gerade aus diesem Grund ist darauf im vorangegangenen Teil V speziell eingegangen worden. Je nachdem ergibt sich auch eine unterschiedliche Sicht der Defizite oder noch anstehenden Forschungsaufgaben. Zwei deutliche Perspektiven lassen sich dabei auseinanderhalten: Man könnte analog zu den Grundkonzepten von Ökonomie von einer aspekt- und einer bereichsbezogenen Definition von Wirtschaftsethik sprechen. Die erstgenannte Perspektive definiert ihren Erkenntnisgegenstand im Unterschied zur zweiten nicht durch den Gesellschaftsbereich ‚Wirtschaft', sondern durch den ökonomischen Aspekt im Allgemeinen, so wie es die reine Ökonomik tut.

((31)) Diese aspektbezogene Definition von Wirtschaftsethik liegt implizit dem Programm der integrativen Wirtschaftsethik zugrunde, denn diese setzt ja systematisch mit der ethischkritischen Grundlagenreflexion über den normativen Gehalt der ökonomischen Ratio als solcher an und erstreckt sich auf den ökonomischen Rationalismus (Ökonomismus) in allen Lebens- und Gesellschaftsbereichen, was übrigens mit ein bisher noch nicht erwähnter Grund gegen das Verständnis so konzipierter Wirtschaftsethik als "angewandte" (und das heißt wohl immer: bereichsbezogene) Ethik ist. Man kann natürlich mit Rath (10) in Frage stellen, ob es zweckmäßig ist, einen nicht bereichsbezogenen Ansatz von Wirtschaftsethik überhaupt als ‚Wirtschaftsethik' zu bezeichnen. Dafür spricht m.E. vor allem, dass der aspekt- oder rationalitätsbezogene Zugang eine vertiefende Auseinandersetzung mit dem Bereich der institutionalisierten Wirtschaft oder einzelner Handlungsfelder ja keineswegs ausschließt. Deshalb ist der Schluss von Rath, mein Festhalten am Begriff ‚Wirtschaftsethik'schließe die Betrachtung anderer Handlungsfelder als das der Wirtschaft aus, voreilig. Vielmehr schließt der auf den ökonomischen Aspekt bezogene integrative Ansatz im Prinzip alle Wissenschafts- und Handlungsfelder ein, die faktisch oder potentiell Gegenstand ökonomischer Rationalisierungsprozesse sind, beispielsweise die Ökonomisierung der Politik (politischer Ökonomismus) in Theorie und Praxis. Insofern wird Wirtschaftsethik ein wirklich inter- oder gar transdisziplinäres Programm, das in dem Maß wächst oder schrumpft, wie der ökonomische Imperialismus voranschreitet oder zurückgedämmt wird.

((32)) Auf ein etwas anderes Forschungsdesiderat der so verstandenen integrativen Wirtschaftsethik weisen Hengsbach (2, 4) und Sturn (8) hin. Es betrifft die Ausweitung der ethischkritischen Grundlagenreflexion über das derzeit (noch) dominierende neoklassisch-vertragstheoretische Paradigma hinaus auf andere Ansätze der politischen Ökonomie, um dem realen Pluralismus wirtschaftswissenschaftlicher Ansätze gerecht zu werden. Allerdings halte ich es gemäß dem schon zitierten Motto first things first durchaus für sachgerecht, sich zuerst und besonders intensiv dem paradigmatisch "härtesten" sowie wissenschafts- und wirtschaftspolitisch mächtigsten Ansatz, eben dem neoklassischen, zu widmen. Den entsprechenden ethisch-kritischen Argumentationsdruck auf die international herrschende ökonomische Doktrin auszuüben, halte ich entgegen Hengsbach nicht unbedingt für einen "Kampf gegen Windmühlen", sondern wenn schon für einen Kampf, dann eher für den in der Höhle des Löwen - nämlich am intellektuellen Ort, wo gegenwärtig bestimmt wird, was als "ökonomisch vernünftig" zu gelten hat und was nicht, und zwar für die Theorie und für die Praxis. Dieser begriffs- und ideologiekritische Zugang setzt selbstverständlich den integrativen Leitgedanken, die ökonomische Ratio als solche ethisch zu integrieren (sozialökonomische Rationalitätsidee), implizit schon voraus. Wenn Wolfgang Lempert (4) fragt: "Wohnen der wirtschaftlichen Vernunft als solcher wirklich moralische Rücksichten inne, zumindest latent?", so ist das natürlich mit ihm als Faktum zu verneinen, aber als normativer Anspruch an eine wohlverstandene ökonomische Vernunft und an die Disziplin, die diese entfaltet, zu bekräftigen: Wirtschaftsethik muss den "Kopf" des Löwen, eben das ökonomische Rationalitätsverständnis, fokussieren, wenn sie sich nicht mit der ohnmächtigen Rolle des "sachfremden" Anredens gegen dieses begnügen und die ökonomistischen Fehler, die aus dem Reflexionsabbruch vor ihm und vor der Logik des "freien" Marktes methodisch unkontrollierbar und daher fast unvermeidlich resultieren, in Kauf nehmen will.

((33)) Geht man hingegen von einer bereichsbezogenen Definition von Wirtschaftsethik aus, so kommt ein anderes Forschungsdesiderat in den Blick: Mit Rath (7f.) und Retzmann (5f.) kann man sich eine Konkretisierung der grundlegenden wirtschaftsethischen Einsichten in Bezug auf spezielle Handlungsfelder wünschen. Auch der von letzterem hervorgehobenen Förderung eines je berufsfeldbezogenen Ethos (professionelle Ethik) ist zuzustimmen. In der Architektur der integrativen Wirtschaftsethik ist das durchaus vorgesehen und z.T. ansatzweise schon ausgeführt, vor allem hinsichtlich der Ordnungsethik, der Unternehmensethik und der Führungsethik (Ulrich 1999b) sowie z.B. der ethischen Orientierung der Arbeitspolitik (Ulrich 1997a, 2000) und der Entwicklungspolitik (Ulrich 1999c). Dabei geht es aber m.E. primär stets um die Orientierung im problemfeldbezogenen wirtschaftsethischen Denken und weniger um die Bereitstellung "anwendbarer" Problemlösungen. Weshalb Retzmann (4) diese Gewichtung bedauert, ist mir angesichts seiner weiter oben ((16f.)) charakterisierten pädagogischen Haltung nicht recht einsichtig. Wirtschaftsethik ist nun einmal keine Sozialtechnik für gute Zwecke, sondern ein Stück Anstrengung ethisch-praktischer Vernunft. Dies ist m.E. der Kern ihrer "Problemorientierung" (Retzmann (6)) in konkreten gesellschaftlichen Problemfeldern, nicht etwa ein Verzicht auf eine entsprechende "Ausdifferenzierung" wirtschaftsethischer Reflexion.

b) Spezielle Desiderate

((34)) Wenden wir uns nun noch einigen weiteren Forschungsdesideraten zu, auf die von einzelnen Kritikern hingewiesen wird. Ein solches erblicken einige von ihnen im Bereich der (Wirtschafts-) Ethik des guten Lebens. So moniert Werner (13) den allzu raschen Rückbezug der Sinnfrage des Wirtschaftens auf Gerechtigkeitsfragen. Das trifft teilweise zu - nur teilweise insofern, als in der Architektur der integrativen Wirtschaftsethik immerhin die "Sinnfrage und die "Legitimitätsfrage" gleichrangig nebeneinandergestellt werden (Ulrich 1998: 207ff.). Einerseits hat der monierte Rückbezug mit dem lexikalischen Vorrang der Gerechtigkeit als der gleichen größtmöglichen Freiheit aller im Konzept des politischen bzw. republikanischen Liberalismus und dem modernen Bürgeranspruch der Entfaltung von "Sinn aus Freiheit" (HA 35) zu tun, wobei ich gerne Hengsbach (3) zustimme: "Beide Ethiken sind nicht ineinander überführbar, aber dennoch aufeinander bezogen." Andererseits spiegeln sich darin die Schwierigkeiten der Entfaltung einer modernen (Vernunft-) Ethik des guten Lebens, die recht formal bleiben muss, wie etwa Seel (1995) in seinem m.E. sehr überzeugenden Werk gezeigt hat: Allein die Form des guten Lebens ist universalistischen Überlegungen zugänglich und bedürftig; die inhaltliche Ausfüllung sehe ich weniger als "theoretische" denn als praktisch-kulturelle Frage.

((35)) Mit der Reflexion über Formen des guten Lebens stellt auch die Frage nach dem von da aus zu klärenden wünschenswerten Wirtschaftsstil eine tief verwurzelte kulturelle Thematik dar. Darauf weisen zu Recht sowohl Lampert (11) als auch Lempert (1f.) hin. Als formales Konzept zu dessen Thematisierung habe ich vorgeschlagen, zwischen den beiden Stufen einer (elementaren) Ökonomie des Lebensnotwendigen und einer (fortgeschrittenen) Ökonomie der Lebensfülle zu unterscheiden, die sich an - nicht oder nur teilweise verallgemeinerungsfähigen - kulturellen Lebensidealen statt nur am produktivistischen und konsumistischen Ziel der Verfügbarmachung einer immer größeren Güterfülle orientiert (HA 37). Schramm (12) hat als Theologe im Begriff der Lebensfülle ein biblisches Wort wiedererkannt und sieht darin ein Symptom für den Charakter meiner entsprechenden Ausführungen als einer "Moralpredigt" (3). Mir scheint allerdings, er verwechselt hier selbst die "paränetische" Form einer inhaltlich wertorientierten Predigt mit der argumentativen Form der (Wissenschafts-) Programmatik, die notwendigerweise inhaltlich das Meiste offen lässt. Und mit dem "Glauben an den ‚moral point of view'" hat die philosophische Methode dessen reflexiver "Explikation" entgegen Schramm (7) nun wirklich nichts zu tun. Außerdem irrt er sich in der Meinung, es handle sich beim Begriff der Lebensfülle um ein originär biblisches Wort; vielmehr findet sich dieses schon in der praktischen Philosophie der alten Griechen, so etwa bei Epikur, und zwar durchaus in der von mir intendierten formalen und universalistischen Verwendungsweise. Epikur weist nämlich darauf hin, "dass jedes Lebewesen (...) nach dem ihm gemäßen Daseinszustand strebt, in dem es die möglichst größte Fülle des Lebens genießt" (1973: 25). Immer wieder neu zu bestimmen, was dies in unserer abendländischen Tradition für uns und unseren Wirtschaftsstil aktuell bedeuten mag, also die Entfaltung einer zeitgemäßen und zukunftsweisenden teleologischen Wirtschaftsethik, ist zweifellos ein wichtiges Forschungsdesiderat. Um nur einige exemplarische Ansatzpunkt zu nennen: Es geht angesichts der rasch fortschreitenden Produktivität unserer Volkswirtschaften um eine neue Balance zwischen produktiver Arbeit und in sich selbst sinnvollen Formen des Tätigseins, der zwischenmenschlichen Interaktion, des Spiels und der Kontemplation (Seel 1995: 138ff.). Es geht von da aus um ein zeitgemäß ausgewogenes Verhältnis zwischen Güterwohlstand und "Zeitwohlstand" (Scherhorn 1995) im Lichte eines näher zu klärenden Leitbilds einer "Kulturgesellschaft der befreiten Zeit", wie ich im Anschluss an Gorz (1989: 136) zu formulieren gewagt habe (Ulrich 1998: 226). Und es geht nicht zuletzt um die Überprüfung der Gewichtung von marktvermittelter Erwerbswirtschaft und lebensweltlicher (Selbst-) Versorgungswirtschaft (Biesecker 1998). Alles "Paränese" oder was?

((36)) Am Begriff des Wirtschaftsstil knüpft auch Dietzfelbinger (8ff.) an, indem er das "Stilkonzept" der Sozialen Marktwirtschaft im Sinne von Alfred Müller-Armack als das "Zukunftsmodell von Wirtschaftsethik" propagiert, das die Aufgabe der Integration der konfligierenden ethischen und ökonomischen Rationalität weit besser löse als der hier vertretene integrative Ansatz, da es die von diesem seiner Meinung nach betriebene Polarisierung (4) zwischen "Moralismus auf der einen Seite und Ökonomismus auf der anderen Seite" vermeide (10). Dessen wäre ich mir aber in dieser (nicht besonders "stilvollen") Pauschalität nicht so sicher. Denn die Offenheit des Stilgedankens der Sozialen Marktwirtschaft ist zwar ihre pragmatische Stärke, aber auch ihre konzeptionelle Schwäche. Im zeitgenössischen Härtetest des globalen Wettbewerbs der Standorte und der Rahmenordnungen hat dieses "Stilkonzept" jedenfalls keine besondere Orientierungskraft bewiesen und wenig gegen die Ausbreitung des politischen Ökonomismus zu leisten vermögen. Mit Quaas (7) bin ich der Meinung, dass das "Konzept der Sozialen Marktwirtschaft ... beschädigt und verfremdet worden (ist) durch eben jenes Phänomen ... (des) Ökonomismus"; dies aber nicht etwa nur in seiner praktischen Umsetzung, sondern eben schon in seiner unscharfen konzeptionellen Anlage hinsichtlich des ordnungspolitischen Umgangs mit dem ethisch-ökonomischen Rationalitätenkonflikt, wie ich an anderer Stelle am Beispiel des doppeldeutigen Kriterium der "Marktkonformität" von Ordnungspolitik zu zeigen versucht habe (Ulrich 1998: 352-358). In der gründlichen wirtschaftsethischen Neudurchdringung dieser ganzen Problematik ist - in Absicht auf die klarere Fundierung und Orientierung einer in jedem Sinne "vitalen" Ordnungspolitik - zweifellos ein besonders bedeutsames Forschungsdesiderat zu erkennen.

((37)) Aus der Perspektive der integrativen Wirtschaftsethik ist zu diesem Zweck - weit über die wiederum zu unscharfe Eucken'sche Formel von der "Interdependenz der Ordnungen" hinausgreifend (Nutzinger (8)) - zunächst einmal das (im Ordo- und mehr noch im jüngeren Neoliberalismus ökonomistisch verkürzte) Liberalismusverständnis politisch-philosophisch weiterzuentwickeln (vgl. dazu jetzt auch Quaas 2000: 173ff.). Genau dafür vermag m.E. das vorgeschlagene Konzept des republikanischen Liberalismus einiges zu leisten. Denn eine lebensdienliche Marktwirtschaft bedarf wie gezeigt von Grund auf der systematischen Einbettung in das Leitbild einer wohlgeordneten Gesellschaft freier und gleicher Bürger, die sich ein Stück "Bürgersinn", d.h. ein angemessenes Maß von moralischer Selbstbindung und republikanischer Mitverantwortung für die Qualität der Rahmenordnung des Marktes, zumuten lassen (HA 44ff.). Dem Konzept des republikanischen Liberalismus korrespondiert die regulative Idee deliberativer Ordnungspolitik, die m.E. einen grundlegenden Beitrag zur Überwindung des (in bestimmten naturrechtlichen Traditionen wurzelnden) nicht ganz unproblematischen Verhältnisses auch des Ordoliberalismus zur demokratischen Gesellschaft leisten kann (vgl. Quaas 2000: 194ff.; Ulrich 1998: 359ff.). In diesen Zusammenhang passt auch Sturns (2) Hinweis auf das Arrow'sche Unmöglichkeitstheorem (Arrow 1973), das aber eben nur auf der axiomatischen Prämisse "gegebener" individueller Präferenzen, von der die neoklassische Ökonomik und Wohlfahrtstheorie ausgeht, als solches erscheint. Denn die Pointe des deliberativen Demokratiekonzepts besteht ja gerade darin, dass der demokratische Prozess nicht erst der Mehrheitsbestimmung, sondern schon der Klärung und u.U. republikanisch-selbstkritischen Veränderung der individuellen Präferenzen im "öffentlichen Vernunftgebrauch" (Kant) dient und entsprechend diskursfördernd zu institutionalisieren ist (vgl. Ulrich 1993: 211ff.; ders. 1998: 310ff.). Arrow liefert also gerade den entscheidenden wohlfahrtstheoretischen Grund für den konzeptionellen Übergang zu einem deliberativen Modell von (Ordnungs-) Politik.

((38)) Die entgegen Dietzfelbinger offenbar doch eher beschränkte Integrationskraft des Konzepts der Sozialen Marktwirtschaft betrifft neben den neuen sozialen und demokratischen Fragen auch die nach wie vor ungelöste ökologische Frage. Mit ihr kommt die vorsorgende Perspektive eines nachhaltigen Wirtschaftsstils in den Blick, der die möglichen Entwürfe des guten Lebens für die nachfolgenden Generationen offen lässt (Zukunftsverantwortung). Entsprechende Reflexionen im Hauptartikel vermisst zu Recht Fritz Reheis (2ff.). Dort hat der Raum gefehlt, um auch noch die Position der integrativen Wirtschaftsethik in der voraussetzungsreichen Debatte um die Grundlagen einer modernen Ethik des Umgangs mit der Natur zu entfalten. An anderen Stellen ist das durchaus geschehen (Ulrich 1989, 1991a, 1996, 1997b, 1998b). Ich kann auch hier den der integrativen Wirtschaftsethik korrespondierenden sozialökologischen Problemzugang nur anzudeuten. Er geht von einem diskursethisch explizierbaren schwachen, epistemischen Anthropozentrismus aus (Bayertz 1987; Groh 1996) und integriert die ökologische Dimension des Wirtschaftens in den ethisch-politisch-ökonomischen Diskurs über vernünftiges Wirtschaften. Zu thematisieren sind dabei u.a. die drei (republikanisch-liberal begründbaren) ordnungspolitischen Ansatzpunkte ökologischer Bürgerrechte, Rechnungs- und Randnormen (vgl. oben, Absatz 22). Als regulative Idee kann der Begriff der Nachhaltigkeit Orientierung geben, wenn er als deontologisch-ethische Kategorie intergenerationeller wie internationaler Gerechtigkeit reinterpretiert wird: Als ‚nachhaltig' (sustainable) sind jene und nur jene Handlungsweisen zu definieren, die im Lichte der zu bestimmenden unveräußerlichen ökologischen Grundrechte aller Menschen, auch der zukünftigen Generationen, universalisierbar sind (Ulrich 1997b: 107). Zweifellos stellt sich hier bezüglich des gesellschaftlich-wirtschaftlichen "Stoffwechsels" mit der Natur (Reheis (2)) ein Forschungsdesiderat, zu dem eine zukunftsweisende Wirtschaftsethik ihren Beitrag zu leisten hat.

VII. Schlussbemerkung: Zum Umgang mit der paradigmatischen Provokation

((39)) Einleitend hatte ich die provokative Qualität einer interdisziplinären Debatte im Rationalitätenkonflikt zweier so epochaler Rationalisierungs- und Modernisierungsprogramme wie des ökonomischen und des ethisch-politischen angesprochen. In der teilweisen Heftigkeit des intellektuellen Streitgesprächs spiegelt sich die reale Wucht des zeitgenössisch tatsächlich stattfindenden Zusammenpralls zweier grundlegender Modernisierungsstränge (HA 19). Akademische Souveränität ist unter solchen Umständen wohl an der Fähigkeit zu bemessen, die entscheidenden Momente in ihren geistes- und realgeschichtlichen Tiefenstrukturen und Zusammenhängen zu durchschauen und begrifflich prägnant auf den Punkt zu bringen. Wird solches methodisch diszipliniert ad rem betrieben, so kann gerade die vorbehaltlos kritische Zuspitzung der Argumente dem Kritisierten ebenso wie den Kritikern nur Gewinn bringen. Weise (1) hat die Stilform, um die es in einer die Sache treffenden Kritik geht, schön ausgedrückt: Es geht naturgemäß vor allem darum, die Thesen eines Autors "nicht ... zu loben ..., sondern ihn zu kritisieren (und den Verfasser unbeschädigt zu lassen)." Auch wenn einzelne Kritiker - aufmerksame Leser und Leserinnen bedürfen hier keiner Namenshinweise - in vielleicht etwas weniger souveräner Weise immunisierende Rhetorik, unbelegte Unterstellungen ad personam oder gar Erörterungen über meine geistige Befindlichkeit ins Feld führten, darf ich am Ende sagen, dass meine Argumente im großen Ganzen ernst genommen und sachbezogen diskutiert worden sind und ich mich verdankenswerterweise entsprechend "unbeschädigt" fühle.

((40)) Die hier versuchte systematische Form der Replik hat zwei "systematische" Nachteile: Zum Ersten konnten die einzelnen Kritiken nicht als solche in ihrer systematischen Anlage und Gewichtung gewürdigt und nicht alle Kritikpunkte aufgegriffen werden. Und zum Zweiten fanden jene Autoren, die in ausgeprägter Weise kritisiert haben, häufiger Erwähnung als jene, die mir in weitgehender sachlicher Übereinstimmung vorwiegend Bekräftigung und "Lob" entgegengebracht haben. Immerhin habe ich auch ausgewählte zustimmende Voten zitiert, die mir für die Klärung der Sachfragen besonders sachdienlich schienen. Ergänzend sei hier generell für die insgesamt unerwartet vielseitige argumentative Unterstützung gedankt. Diese ist weniger für einen allmählich "Altgedienten" wie den Schreibenden als vielmehr für Nachwuchsforscher und -forscherinnen nötig, die den Mut haben, sich akademisch mit einer grundlagenkritischen Programmatik der hier vertretenen oder ähnlicher Art zu exponieren. Um der Sache willen braucht es - so meine ich wenigstens - heute eine Wirtschaftsethik, die sich unopportunistisch, ja vorbehaltlos kritisch in die wirkungsmächtige ökonomische Denkungsart, wie sie in der Fachdisziplin der Ökonomik geübt wird, einmischt. Denn Ökonomik ist, wo sie der praktischen Orientierung dient, immer schon - von den Klassikern ganz richtig bezeichnete - politische Ökonomie. Sie verdient als solche die gründliche Prüfung im wirtschaftsethischen Elchtest: Die ökonomische Vernunft ist gesellschaftlich zu wichtig, als dass man ihre Definition und "rationalisierende" Geltendmachung den (niemals ganz) "reinen" Ökonomen überlassen dürfte.


Literatur

(Aufgeführt sind nur Titel, die im Hauptartikel noch nicht zitiert worden sind.)

Adresse
Prof. Dr. Peter Ulrich, Institut für Wirtschaftsethik, Universität St. Gallen, Guisanstr. 11, CH-9010 St. Gallen. E-Mail: Peter.Ulrich@unisg.ch