Protokoll der 13. Sitzung im SS 2015 am 10.07.2015

 

Beginn: 09.15 Uhr

Ende: 10.45 Uhr

Ort: WiFa Grimmaische Sr. 12, SR 7

Protokoll: F. Fehlberg

 

Anwesende: 8 Studierende; 2 Dozenten: F. und G. Quaas; 1 Protokollant: F. Fehlberg

 

TOP:

 

1. Protokollbestätigung

2. Vorstellung eines Hausarbeitsthemas

3. Diskussion der Quelle (Kapitel 16 und Schlussbetrachtung aus Piketty: Das Kapital)

4. Vorbereitung der nächsten Sitzung

 

TOP 1 – Protokollbestätigung

 

Das Protokoll der letzten Sitzung vom 03.07.2015 wird bestätigt.

 

TOP 2 – Vorstellung eines Hausarbeitsthemas

 

Sein Buch „Schlacht um den Euro“ einbeziehend, soll untersucht werden, ob und wie Piketty in der europäischen Krise gegen den Mainstream der Ökonomik argumentiert. Pikettys theoretische Grundlagen sollen kurz dargestellt werden, vorrangig aber, wie er diese in seine Haltung zu den derzeitigen Ereignissen einfließen lässt. Die Ausrichtung der Arbeit sei weniger wirtschaftstheoretisch als wirtschafts- und ideenpolitisch angelegt (z.B. seine Rolle in der französischen Diskussion).

 

Zunächst wird festgestellt, dass selbst der sogenannte Mainstream keine einheitliche Position etwa zur Griechenlandkrise bezieht. An dieser Stelle müsse also präzisiert werden, dass sich die Hausarbeit um eine Gegenüberstellung von Austeritätsbefürwortern und Pikettys Standpunkt drehen soll.

 

Anhand des Hausarbeitsthemas kommt es zu einer Diskussion über die politische Verortung von Piketty. Während er einerseits klar als Linker eingeordnet wird, wird die Frage einer Zuordnung zum linkssozialistischen oder sozialdemokratischen Lager unterschiedlich beantwortet. So seien zwar einerseits seine Verweise auf Marx und die Vorschläge zur Kapitalbesteuerung entsprechend zu berücksichtigen, andererseits bediene er sich überwiegend im „Instrumentenkasten des Mainstreams“ und komme deshalb über gewisse Erwägungsgrenzen nicht hinaus. Die Beurteilung der Gruppe lässt sich mit der Verortung Pikettys im Links- bis Sozialliberalismus zusammenfassen.

 

TOP 3 – Diskussion der Quelle (Kapitel 16 und Schlussbetrachtung aus Piketty: Das Kapital)

 

a) Die Staatsschulden und ihre Abtragung

 

Im Eingangsstatement wird auf den Umstand hingewiesen, dass Piketty keine explizite Beurteilung von Staatsschulden als solchen abgebe. Es gehe ihm im Grunde gar nicht um Staatsschulden und damit auch nicht um die Frage, ob Staatsschulden gut bzw. schlecht seien oder in welcher Höhe. Ein weiterer wichtiger Punkt sei seine Bevorzugung einer einmaligen Kapitalabgabe statt eines Schuldenschnitts zur Abtragung sehr hoher Schuldenlasten. Während die Kapitalabgabe die wirtschaftliche Substanz gefährde, könne doch ein Schuldenschnitt wesentlich risikoärmer zum dringend benötigten Wachstum führen. Blende Piketty die Kapitalform des Humankapitals konsequent aus, erwähne er im letzten Kapitel die Rolle des Naturkapitals für das übergenerationelle Wirtschaften.

 

Der Begriff vom Naturkapital führt die Gruppe zunächst von den Staatsschulden weg. Ein solches könne man nur sehr schwer fassen, sei es z.B. eine Bestands- oder eine Stromgröße? Wachstumstheoretisch bedeute die Veränderung oder auch Verringerung von verfügbarem Naturkapital nicht unbedingt eine Verschlechterung der übergenerationellen Aussichten  (Wachstum des Bruttoinlandsproduktes durch Wiederherstellungsmaßnahmen, z.B. Leipziger Seenlandschaft). Die Bepreisung des Naturkapitals bleibe weitgehend im Dunkeln, das verfügbare bzw. regenerative Ganze sei schließlich nie abschließend bekannt. Die Kosten der Natur gesamtwirtschaftlich aufzurechnen gestalte sich dementsprechend schwierig.

 

Nach dem Exkurs zur Umweltproblematik kehrt die Diskussion zur Auffassung Pikettys über die Staatsschulden zurück. Mit der Inflation als Möglichkeit zum Schuldenabbau gehe Piketty viel zu unkritisch um, dabei seien durch sie doch gerade die unteren gesellschaftlichen Schichten am stärksten betroffen. Überhaupt zeige Piketty mit seiner fast monetaristischen Haltung (er beziehe sich positiv auf Milton Friedman, 750), welche die Inflation als steuerbares Instrument für stabiles Wachstum begreife, wieder seine enge Anlehnung an neoklassisch unterlegte Argumentationslinien.

 

Als Verteilungsökonom sehe er die Staatsschulden andererseits als Teil der verhängnisvollen Fehlverteilung des Reichtums und mache dadurch seine dezidiert linke Position deutlich. Die Verknüpfung der Staatsschulden mit voranschreitender Privatisierung öffentlicher Güter und Belange zeige seine Grundhaltung, dass Staatsschulden letztlich nur den Reichen dienten. Daher komme seine ablehnende Haltung gegenüber Staatsschulden, zumal exorbitant hohen Staatsschulden, welche die Umverteilung von unten nach oben über verschiedene Spar- und Privatisierungsmaßnahmen noch verschärften.

 

b) Die griechische Krise

 

Die Diskussion wendet sich einem konkreten Beispiel zu. Vor dem Hintergrund der von Piketty erörterten Lösungsmöglichkeiten der Staatsschulden wird die Lage der Eurozone bzw. Griechenlands besprochen. Der keynesianische Ansatz zur Ankurbelung der Wirtschaft durch noch mehr Schulden, um den Staat in die Lage zu versetzen, seine Schulden langfristig abzutragen, verliert in der Debatte schnell an Boden. Nicht langfristige wirtschaftstheoretische Überlegungen zu den Ursachen und zur zukünftigen Vermeidung von Staatsschulden stehen im Mittelpunkt (die „schwäbische Hausfrau“ wird am Rande erwähnt und bleibt unwidersprochen), sondern kurzfristige fiskalische und geldpolitische Erwägungen.

 

Wieder kommt die Sprache auf die Möglichkeiten einer Inflation zur Schuldenabtragung. So führe zwar die Ausweitung der Geldmenge zur Inflation, aber durch die derzeitige Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank würden vorrangig Vermögenspreise aufgebläht, anstatt dass Verbraucherpreise stiegen. Letztlich würde diese Art Inflation nicht dem Abbau der Schulden dienen, sondern die Ungleichheit der Vermögen begünstigen. Eine Entwertung der griechischen Schulden wird als möglicher Inflationstreiber ins Spiel gebracht.

 

Möglich sei neben einem Schuldenschnitt für Griechenland auch eine Wandlung seiner Schulden zu sogenannten ewigen Schulden, was einer lanfristigen Stundung der ohnehin wohl niemals erfüllbaren Forderungen an den griechischen Staat gleichkomme. Allerdings würden die Reaktionen des Kapitalmarktes auf diese Forderungslockerung oder auf einen Schuldenschnitt eine nicht zu unterschätzende Gefahr für den gesamten Euroraum darstellen. Einige Stimmen sprechen sich für den „Grexit“, für den Ausschluss Griechenlands aus der gemeinsamen Währung aus. Nach einer Übergangszeit notwendiger harter Einschnitte könne Griechenland durch die Währungsabwertung seine Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen.

 

Dieser Position wird heftig widersprochen, sie sei nur oberflächliche Ökonomenperspektive, wie sie beispielhaft Hans-Werner Sinn zurzeit in jeder Talkshow vertrete. Wie sähen denn „harte Einschnitte“ für das ohnehin schon gebeutelte Griechenland aus? Was wären die gesellschaftlichen und politischen Folgen?

 

So seien etwa ein chaotisches Machtvakuum und ein Militärputsch nicht unwahrscheinlich, Griechenland sei schließlich 1967 bis 1974 bereits eine Militärdiktatur gewesen. Die USA würden bereits ein Abdriften Griechenlands Richtung Russland befürchten. Schon die geopolitischen Folgen eines „Grexits“ könnten verheerend sein. – Abgesehen von einer sozialen Schieflage, die das europäische Einigungsprojekt als wirtschaftliche und soziale Vergemeinschaftung auch angesichts der übrigen gefährdeten Länder weit zurückwerfe. Piketty sehe die supranationale Vergemeinschaftung nicht nur im politisch-institutionellen Sinne des Sozialstaats als dringend notwendig an, um das europäische Modell stark zu machen (769). Auch im Hinblick auf die Staatsschulden spreche er sich für die Vergemeinschaftung aus – zu Recht. 

 

Die Griechen hätten ihre Lage selbst zu verantworten, sie hätten doch ihre Regierungen demokratisch gewählt, lautet eine lapidare Antwort. Griechenland sei auch ein Beispiel für die menschliche Schwäche der Politiker, ihre Steuer- und Kreditpolitik an dem Willen ihrer Wähler auszurichten. Da nun die Schulden nicht mehr zurückgezahlt werden könnten, könne nur noch die Wiedereinführung der Drachme gleichzeitig zum Schuldenabbau und zu wirtschaftlichem Wachstum führen. Die Zwischenzeit des möglichen Chaos und der Folgewirkungen dieser Renationalisierung auf Europa müsse hingenommen werden.

 

c) Noch einmal: Cobb-Douglas

 

Mit seinem Verweis auf die „Goldene Regel“ r = g der Wachstumstheorie (771f.) bestätige Piketty noch einmal eindrücklich seinen Bezug zur Produktionsfunktion nach Cobb-Douglas (CDF). Die Regel besagt, „dass langfristig der Anteil des Kapitals am Nationaleinkommen exakt gleich der Sparquote der Wirtschaft ist: α = s“. Das setze einen sehr großen Kapitalstock voraus, dessen Rendite in voller Höhe reinvestiert werden müsste, um ihn zu erhalten. In einer solchen Gesellschaft gebe es keine Rente bzw. Rentiers mehr (arbeitslos bezogenes Einkommen), sondern nur noch Unternehmer.

 

Hier zeige sich im Übrigen, dass die CDF neutral und keineswegs neoklassisch oder gar neoliberal sei. Auch wenn Pikettys dogmenhistorische Kenntnisse – z.B. seine Einschätzung Marx‘ – sich als sehr begrenzt erwiesen hätten, liefere er doch hier eine beachtliche Anwendung der CDF von 1928, zumindest in produktionstheoretischer Hinsicht.

 

Die produktionstheoretische Grundlegung und die neoklassische verteilungstheoretische Ableitung der CDF hingen aber doch in der Dogmenhistorie und in den Lehrgebäuden der bestimmenden Ökonomik unmittelbar zusammen, wird entgegnet. Daher könne man keine Trennung einer neutralen und einer neoklassischen CDF vornehmen. Das Erstaunliche an Piketty sei eher, dass er die Ungleichheit der Verteilung neben den empirischen Daten vor allem mit den theoretischen Instrumenten der Neoklassik als inhärente Notwendigkeit des kapitalistischen Systems erfolgreich nachzuweisen versuche.

 

TOP 4 – Vorbereitung der nächsten Sitzung

 

Die Diskussion zur Quelle der 13. Sitzung wird als abgeschlossen betrachtet. Bis zur nächsten Sitzung am 17.07.2015 sollten die Teilnehmer kurze Rezensionen und Beiträge zu Pikettys Werk durcharbeiten (in Papier verteilt worden). In der letzten Sitzung werden die einzelnen Äußerungen zu den Wahltexten zur Grundlage der Diskussion. Abschließend soll eine Auswertung des Seminars stattfinden.