Protokoll vom 25.11.11 – Argentinien, Freys FOCJ-Ansatz und Sell & Sauer

Anwesende: I. Zeidler, J. Hochscherf, K. Zalewski, S. Najort, R. Koch, R. Wießner, J- Tomaschky, A. Penetrante, C. Pferner, M. Roßberg, A. Erdmann, S. Manthey, F. Bartsch, G. Quaas, M. Elias, M. Afshin

Entschuldigt: M. Mehlhorn

TOP 1: Aufgabenerfüllung

-         Text von J. Hochscherf über die Argentinienkrise liegt vor

-         Text von C. Pferner über den FOCJ-Ansatz von Bruno Frey liegt vor

TOP 2: Protokoll der letzten Sitzung

-         Zu den beiden Protokollen der letzten Sitzung gibt es keine Anmerkung

TOP 3: Diskussion

Eine kurze Diskussion darüber, ob zuerst die Texte der Studenten oder der Text von Sell & Sauer zu besprechen seien, beendete G. Quaas mit der Anmerkung, dass die studentischen Beiträge Vorrang haben sollten.  So wurde mit dem Text über die Argentinien-Krise von J. Hochscherf begonnen. M. Elias warf in ihrem Statement die Frage auf, wie es dazu kommen konnte, dass ein ehemals so reiches Land es innerhalb von knapp 100 Jahren in den Bankrott schafft.  J. Hochscherf meinte dazu, dass die Schuld der peronistischen Regierung gegeben wird, die glaubte, sich ohne den Welthandel behaupten zu können und deshalb protektionistische Maßnahmen ergriff. Das führte zu ineffizient arbeitenden Unternehmen, bis in den 80er Jahren unter einer neuen Regierung ein Währungsrat gegründet wurde, der den Bankrott jedoch auch nicht mehr aufhalten konnte. Die Frage, welche Schlussfolgerungen man aus dem Beispiel Argentiniens ziehen könne, beantwortete J. Hochscherf damit, dass der Schuldenschnitt zwar enorme soziale Kosten in Bezug auf erhöhte Armut und Steigerung der Ungleichheit verursacht habe, aber vermutlich trotzdem die beste Möglichkeit in der damaligen Situation gewesen sei. I. Zeidler wollte wissen, ob der Währungsrat und die Kopplung des Peso an den Dollar eine gute Entscheidung gewesen sei. Laut J. Hochscherf hatte diese Maßnahme anfangs positive Effekte auf Inflation und Verschuldung, langfristig sei aber das Vertrauen der Bevölkerung nicht ausreichend gewesen. Diese nutzte bei Krisengerüchten die Eintauschgarantie der Zentralbank, was dem Staat letztlich das Genick brach. K. Zalewski fragte, ob man Parallelen zwischen Argentinien und Griechenland ziehen  könne, denn heute habe Griechenland keine wettbewerbsfähige Industrie, die das Land stützen könne. Dazu erklärte J. Hochscherf, dass in Argentinien nach Aufhebung der Handelsschranken ein Exportboom zu beobachten gewesen sei, was andererseits nachteilig für die Verschuldungsquote der Haushalte sei. Zu Kapitalimporten nach Argentinien lagen keine Daten vor. I. Zeidler stellte die Frage, wie die derzeitige argentinische Regierung einer Abwertung ihrer Währung gegenüberstehe. J. Hochscherf führte aus, dass das Land auch unter Präsidentin Kirchner den Protektionismus hinter sich gelassen habe, aber dass sich die Inflationsraten seit der Aufhebung des Währungsrates  im zweistelligen Bereich bewegen. Dieses Problem, so vermutete I. Zeidler, könne sich auch in Griechenland stellen.

G. Quaas münzte den letzten Absatz des Argentinien-Papers auf Griechenland um: Wenn die EU sich weigerte, die nächste Kredit-Tranche an Griechenland zu zahlen, was wären die Folgen? J. Hochscherf erklärte, Argentinien habe danach einen Schuldenschnitt zu deutlich schlechteren Konditionen hinnehmen müssen. I. Zeidler vermutete daraufhin, dass Griechenland jedoch mehr Aufmerksamkeit bekomme als Argentinien, vor allem im Moment hinsichtlich der EU-Krise und der befürchteten Auswirkungen auf andere Länder wie zum Beispiel Italien. Daraufhin gab J. Hochscherf zu bedenken, dass auch in Argentinien eine hohe Schuldenverflechtung bestanden habe, auch dort seien deutsche und italienische Banken involviert gewesen. M. Roßberg sagte, dass dann auch in Griechenland Armut und Arbeitslosigkeit sowie die Möglichkeit sozialer Unruhen steigen würden, was nicht wünschenswert sei. G. Quaas gab zu bedenken, dass das nicht erst die Konsequenzen eines IMF-Zahlungsstopps seien. J. Hochscherf erklärte, dass Argentinien seine Schuldenzahlungen gestoppt habe, nachdem die IMF-Kredite nicht mehr geflossen waren. A. Penetrante präzisierte, dass die Unruhen in Argentinien starteten, als die dortigen Bürger ihr Geld nicht mehr eintauschen oder abheben konnten. R. Koch wollte wissen, wann genau Argentinien seinen Staatsbankrott erklärt hatte, und J. Hochscherf berichtete, das sei im Dezember 2001 oder Januar 2002 passiert. R. Koch meinte weiterhin, dass die EU-Staaten die Auswirkungen einer griechischen Pleite mehr spüren würden als die der Pleite in Argentinien, dass andere Dimensionen einen Dominoeffekt hervorrufen könnten. A. Penetrante stellte die Frage, mit welcher politischen Intention der Peso mit einer Rate von 1:1 an den Dollar gekoppelt worden sei. Das beantwortete J. Hochscherf dahingehend, dass dadurch, dass für jeden von der Nationalbank ausgegebenen Peso ein Dollar vorhanden sein musste, eine Disziplinierung der Staatsausgaben erfolgen sollte und auch die vorherige Inflation, die durch den Gelddruck bedingt war, gestoppt werden sollte. G. Quaas fragte, ob eine Kopplungsrate von 1:1 oder 1:10 einen Unterschied mache, was J. Tomaschky und F. Bartsch damit beantworteten, dass das nur am Anfang Auswirkungen habe und sich dann Löhne und Preise daran anpassen. G. Quaas meinte, dass es anfangs wichtig sei, damit die Leute nicht ihr Vermögen entwertet sehen – die optimistische Rate von 1:1 habe also politische Gründe gehabt. J. Hochscherf sah vor allem die Glaubwürdigkeit der Währung als wichtigen Punkt an, weshalb auch die von I. Zeidler vorgeschlagene Änderung der Wechselkursrate keine Möglichkeit sei. Laut J. Hochscherf werden durch die Stabilität außerdem ausländische Investoren angelockt.

Eine weitere Frage in diesem Zusammenhang stellte G. Quaas: Woher kamen die Dollars, die die argentinische Nationalbank als Reserve brauchte – vielleicht vom IMF? A. Penetrante vermutete, sie seien durch die Privatisierung von Unternehmen ins Land geflossen. F. Bartsch vermutete Goldreserven als Grundlage. J. Hochscherf berichtete, dass Argentinien ab 1999 Kapitalverkehrskontrollen einführte, um Kapitalflucht zu verhindern, und dass im Land Parallelwährungssysteme aufkamen. Die Frage von G. Quaas, warum die Argentinier nicht gleich den Dollar als Währung einführten, wurde mit mutmaßlichem Nationalstolz Argentiniens beantwortet.

Daraufhin ging es über zum zweiten Diskussionsthema des Seminars: C. Pferner hatte einen Text vorgelegt, in dem sie sich mit dem FOCJ-Konzept von Bruno Frey auseinandersetzte. Kritikpunkte, die R. Wießner in seinem Statement anführte, zielten auf die mangelnde Übersichtlichkeit sowie den Verlust von Sicherheit, Stabilität und Solidarität ab. Ökonomische Macht könne für politische Zwecke missbraucht werden, und der Gemeinschaftsgedanke Europas ginge ebenso verloren wie die Position Europas als Gegenwicht zu den USA. Positiv seien hingegen die gesteigerte Flexibilität und Transparenz eines Geflechts aus überlappenden Verträgen. C. Pferner beschrieb daraufhin ihre Schwierigkeiten, Freys Konzept und vor allem die Unterschiede zwischen seinen früheren und aktuelleren Texten zu bearbeiten, weil zuvor auch nicht unbedingt Europa, sondern eher Bundesländer gemeint gewesen seien. Zumindest ginge das aus seinen Texten, die eher regionale Probleme wie Krankenhäuser oder sonstige Infrastrukturen anführten, hervor. Das von G. Quaas vermutete Europa der Regionen und nicht der Staaten, auf das Frey abziele, könnte in C. Pferners Ansicht zu Chaos führen. Auch J. Tomaschky hielt ein System mit überlappenden Verträgen für Regionen mit unterschiedlichen Gesetzgebungen für nicht umsetzbar. J. Tomaschkys Frage, worauf genau die FOCJ angewendet werden sollten, beantwortete C. Pferner damit, dass im Text keine expliziten Aussagen gemacht würden und Grenzen nicht klar definiert seien – Schulen beispielsweise kämen häufig vor. G. Quaas meinte daraufhin, dass eine Schule keine FOCJ sein könne, da ihr sowohl die juristische als auch die Zwangsgewalt fehlten und vermutlich eher kleine Staaten wie Bayern oder Sachsen gemeint seien. Das ist laut C. Pferner jedoch nicht der Fall, da Bundesländer ja bereits existieren. A. Penetrante stellte die Frage nach Auswirkungen auf die Außenpolitik sowie nach der Kontrolle, woraufhin G. Quaas die ganze Diskussion aufgrund mangelnden Hintergrundwissens der Teilnehmer auf die Sitzung in 14 Tagen vertagte. Bis dahin sollten die Seminarteilnehmer ihr Wissen vertiefen.

Das dritte Thema der Sitzung war der Text von Friedrich Sell und Beate Sauer. In ihrem Statement erklärte M. Elias, es handle sich um eine Erweiterung des Textes von Hans-Werner Sinn zum Target 2-Problem, die in drei Teile aufgebaut sei. Zu Beginn geht es um die Kreditverdrängung durch die Target 2-Salden. J. Hochscherf merkte an, dass das Wort problematisch gewählt sei, da eher die Kreditnachfrage das Problem sei. Laut G. Quaas findet keine Verdrängung statt, sondern eine Reduzierung der Kreditnachfrage in den Gläubigerstaaten. K. Zalewski erklärte, dass die Geldbasis der Geberländer originär von der EZB stamme und für die sekundäre Geldbasis Sicherheiten in Griechenland hinterlegt seien. Problematisch sei, dass die Geldbasis aus zwei Teilen bestehe und in den Geberländern nicht mehr genug Sicherheiten vorhanden seien. G. Quaas meinte, das sei zwar ein Problem, aber nicht das des Kredits. Jedoch stelle sich die Frage, ob durch eine gesenkte Kreditnachfrage auch das Wirtschaftswachstum sinke,  worauf K. Zalewski meinte, dass eine sinkende Kreditnachfrage nicht heiße, dass die Unternehmen das Geld schon haben, und dass das Geld nicht besichert sei. G. Quaas gab zu bedenken, dass es keinen Unterschied mache, ob das Geld nun in Deutschland oder in Griechenland gedruckt worden sei. Bei einem Zusammenbruch der Eurozone sehe die Sache allerdings anders aus, da dann viele Euros nichts mehr wert seien. Weiterhin wies er auf Abbildung 1 des Textes hin, die zeigte, dass die originäre Geldbasis sinke, was bedeutet, dass die Bundesbank die Geldmenge nicht mehr über die Kreditvergabe steuern kann. Die Unternehmen brauchen demnach für neues Geld keine Bundesbank. Das Geld, das für Investition und Konsum nicht gebraucht wird, wird wieder zur Bank gebracht, die es aufgrund der niedrigen Zinsen der Zentralbank zurückgibt, wo es vernichtet wird.

K. Zalewski verstand das Problem nicht und gab zu bedenken, dass die Kreditvergabe ja dann in Ländern mit Defiziten stattfinde, in denen man den Zinssatz noch regulieren könne; ob die „Zügel“ für die Kreditvergabe nun in Deutschland oder in Griechenland gespannt würden, sei ja eigentlich egal, solange die EZB als Wagenlenker fungiere. G. Quaas stimmte zu mit der Anmerkung, dass es zunächst kein Problem gebe und das Pferd derzeit von Griechenland asu gesteuert würde. I. Zeidler fragte, ob es nur schwierig werde, wenn der Euro auseinanderbreche, woraufhin G. Quaas zu bedenken gab, dass dann die Geldmengensteuerung über Griechenland nicht mehr möglich wäre, und ein Szenario über das Ende des Euro wurde entwickelt: Laut I. Zeidler könnte das so aussehen, dass Griechenland seine Schulden nicht bezahlen kann, es zu Forderungsausfällen kommt und die Bundesbank bzw. die deutschen Bürger nachschießen sollen, weil deutsches Geld nicht mehr besichert sei. G. Quaas gab die Annahme aus, dass der Euro dann sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern nichts mehr wert und alle Forderungen gegenstandlos seien und Deutschland die D-Mark wieder einführen werde. I. Zeidler gab zu bedenken, dass die EZB doch Forderungen in Form von Wertpapieren haben müsse. Laut G. Quaas liegt das Eigenkapital der EZB bei etwa 11 Billionen Euro und auch Nicht-Euro-Länder haben darin eingezahlt. Wenn nun plötzlich Wertpapiere bei der EZB in Höhe von 100 Milliarden € wertlos werden, schrumpft das Eigenkapital. Inflationspotenziale werden so beseitigt und eine Entwertung der Währung folgt. Die Bundesbank könne dann ihre Wertpapiere bei der EZB zurückfordern, allerdings abzüglich ihres Anteils an den Schulden, die bei 30 Milliarden € liegen. Weiterhin steige damit das Eigentum der Bundesrepublik Deutschland an der EZB und Wertpapiere aus Griechenlands Tresoren werden an Deutschland übertragen, wodurch die Target2-Salden weiter steigen würden. Wenn Griechenland ausfalle und die Wertpapiere nur noch die Hälfte wert sind, liege der Verlust bei der EZB auf das gesamte Wertpapierpotenzial gesehen bei 100 Mrd. € und werde anteilig von den Ländern getragen. Deutschland betreffen davon 30 Prozent.

Nun wurde die Diskussion wieder zum Ausgangspunkt, dem Sell & Sauer-Text, zurückgelenkt. Laut G. Quaas hat sich die Kreditnachfrage nach den Target2-Salden reduziert, das ist die crowding-out-Definition im Text. Er stellte die Frage, warum Abbildung 1 nötig sei, um zu zeigen, dass die Nachfrage nach Geld sinkt, wenn genug Geld da ist. J. Hochscherf beantwortete das damit, dass dadurch die Überinvestitionstheorie der GIPS-Länder anschaulich gemacht werde und auch das Phänomen der Geldnachfragenänderung ohne Zinsänderung deutlicher werde. Außerdem sei sie als Hinführung zu Abbildung 5 hilfreich. Weiterhin fragte G. Quaas, was es mit Abbildung 2 auf sich habe, was J. Tomaschky damit beantwortete, dass hier die Verbindlichkeiten zur Nachfrage addiert worden sei. F. Bartsch gab zu bedenken, dass die schlechte Zeichnung das Verständnis erschwere. A. Erdmann erklärte, die Geldnachfrage in Griechenland steige, könne durch Refinanzierung jedoch nicht gedeckt werden. Als Folge davon steigen die Target 2-Forderungen für die Geldnachfrage. Weiterhin fragte G. Quaas, welchen Sinn der Ursprung der originären Geldbasis im Negativ-Bereich habe. Das wurde von F. Bartsch so erklärt, dass die Geldnachfrage in Deutschland sinke, in Griechenland jedoch steige. Weil die Geschäftsbanken sich jedoch misstrauen, wenden sie sich an die Bank of Greece. M. Roßberg wollte wissen, was genau unter der Vollzuteilungspolitik der EZB zu verstehen sei, die im Text eine Rolle spielte. G. Quaas erläuterte, dass Banken, die Geld haben möchten, normalerweise Sicherheiten hinterlegen. Vor der Krise habe es jedoch Grenzen für die Geldmenge gegeben, heute hingegen bekomme jede Bank so viel Geld, wie sie verlange – die Geldnachfrage ist damit von den Banken abhängig. F. Bartsch warf die Frage auf, ob Deutschland Target-2-Salden abbauen könne. Laut G. Quaas verlangen Banken höhere Zinsen, wodurch sich Deutschland an den Geldmarkt anpassen müsse, aber die EZB müsse trotzdem Sicherheiten verlangen. A. Erdmann wollte wissen, wie die EZB bei Vollzuteilungspolitik den Zinssatz und die Geldmenge steuern könne. G. Quaas antwortete, das sei nur noch teilweise möglich, aber eben eine freiwillige Entscheidung der EZB gewesen. F. Bartsch warf ein, dass durch Basel III erhöhte Reservesätze nötig seien, jedoch ist es bis dahin laut G. Quaas noch ein langer Prozess.

 

Das nächste Erwägungsseminar findet am 9. Dezember statt. A. Penetrante wird dann seinen Text zum Thema Entscheidungsprozesse in Wirtschaft und Politik in Europa vorstellen, und A. Erdmann wird einen Text über Geldtheorie und Alternativen zum Zentralbanksystem zur Diskussion stellen. Ansonsten ist bis dahin der Text der EZB, der auch auf der Homepage des Erwägungsseminars zu finden ist, zu lesen.  

 

Protokollantin: M. Elias