Protokoll zum 4. Erwägungsseminar, Sitzung vom 4. November 2011

 Anwesende:  A. Erdmann, G. Quaas, C. Pferner, F. Pescht, S. Najort, (Name unbekannt), M. Elias,    Dr. A. Penetrante, F. Quaas, F. Bartsch, M. Mehlhorn, R. Wießner, J. Hochscherf, (Name unbekannt), I. Zeidler

Top 1: Verabschiedung des Protokolls der 3. Sitzung. J. Hochscherf kritisiert, dass das Kurzprotokoll Wertungen von Beiträgen vornimmt, G. Quaas will das abändern.

Top 2: Diskussion des Texts von H.-W. Sinn und T. Wollmershäuser, „Target-Kredite, Leistungsbilanzsalden und Kapitalverkehr: Der Rettungsschirm der EZB“

Die Diskussion wird eröffnet durch ein Statement von C. Pferner. Sie verweist auf Parallelen zwischen dem von Herrn Prof. Sinn an der Universität Leipzig gehaltenen Vortrag und stellt die Einführung des Target-Systems als solches in Frage. Es entsteht in der Folge die generelle Frage nach der Funktionsweise des Target-Systems, welches G. Quaas mittels eines Schemas zu verdeutlichen versucht. Als Beispiel wird dabei der Verkauf von Gütern aus Deutschland nach Griechenland angeführt, den der griechische Importeur mittels eines Kredits begleicht. Dabei ziehe die griechische Notenbank das Geld vom Geschäftskonto des Importeurs bei seiner Geschäftsbank ein und vernichte es. Im gleichen Zug zahle die deutsche Bundesbank dem Exporteur den Kaufpreis über dessen Geschäftsbank aus und erhält dafür eine Forderung gegenüber dem Eurosystem bzw. gegenüber der griechischen Notenbank. 

In der Folge entsteht eine Diskussion zu der Frage, ob die griechische Notenbank bei einer solchen Transaktion das vom Geschäftskonto des Importeurs eingezogene Geld tatsächlich vernichtet, so wie von Sinn behauptet. Dabei betont G. Quaas, dass durch das Importgeschäft die in Griechenland verfügbare Geldmenge abnimmt und durch einen Geldschöpfungsprozess seitens der griechischen Notenbank konstant gehalten werden muss. I. Zeidler erweitert die Diskussion dahingehend, dass der bislang stattfindende Kapitalexport aus den Euro-Kernländern nach Griechenland durch die Finanzkrise von 2008 zum Erliegen kam und die griechische Notenbank zur Finanzierung des Handelsdefizits nun das Target-Verrechnungssystem verwende. Dies zeige Sinn durch die Feststellung, dass die Target-Salden erst seit dem Jahr 2008 ein Ungleichgewicht aufwiesen.                F. Quaas stellt in diesem Zusammenhang die Frage, ob das Target-System dann wirklich das Problem sei oder ob es auch kritische Stimmen gäbe, die der von Sinn dargestellten Problematik widersprächen. A. Penetrante ergänzt, dass die Einführung des Euro Verzerrungen hervorgerufen hätte; dies zeige sich jetzt durch das Entstehen der Target-Salden. I. Zeidler entgegnet, dass das Problem das Target-Überweisungssystem und nicht der Euro als solches sei. Dies entspräche auch der Meinung des Autors. A. Penetrante kritisiert den Autor, indem er ihm vorwirft, Lösungen anzubieten ohne das Problem hinreichend erläutert zu haben.  A. Erdmann erweitert die Diskussion um die Frage und die Problematik der Kreditverdrängung in Deutschland durch das Target-System. Durch die Überweisungen aus dem Target-System verfügten die hiesigen Unternehmen über Liquidität, die dann entsprechend ihre Liquiditätsnachfrage in Deutschland reduziere.  

Es entsteht in der Folge eine Diskussion um die Frage der Anwendbarkeit des US-Systems, welches einen Saldoausgleich zwischen den verschiedenen Regionen der Zuständigkeitsbereiche der FED in Form werthaltiger Anlagen vorsieht. F. Pescht ergänzt, dass das Zahlungsbilanz-Ungleichgewicht in der Euro-Zone auf die reduzierten Anforderungen der EZB hinsichtlich der Annahme von Sicherheiten bei der Zuteilung von Zentralbankgeld zurückzuführen sei. Sie fährt fort, dass zur Wiederherstellung dieses Gleichgewichts eine Wiederbelebung der griechischen Wirtschaft nötig sei. Dies sei zum Beispiel dadurch zu erreichen, dass griechische Arbeitnehmer nach Deutschland geholt würden, die dann durch Überweisungen von Primäreinkommen die Zahlungsbilanz zu Gunsten Griechenlands verbessern könnten (und damit durch Überweisungen nach Griechenland zu Verringerung der Target-Salden beitrügen) .

C. Pferner vermutet, dass die deutsche Bundesbank bei dem oben dargestellten Export von Gütern nach Griechenland erst mal nicht betroffen sei. F. Quaas erweitert diesen Gedanken und stellt die Frage, was gegen eine unendliche Fortsetzung des Target-Systems spräche so wie es der Autor ausschließe.

Es folgt zur Beantwortung dieser Frage eine Ausführung von G. Quaas hinsichtlich der Funktionsweise des Geldschöpfungsprozesses in der Euro-Zone. Er erläutert das Vorgehen der EZB während der Finanzkrise im Jahr 2008 und der Entscheidung für eine unbegrenzte Zuteilung von Liquidität an die Geschäftsbanken mit dem Ziel, eine befürchtete Kreditklemme zu verhindern. Jedoch habe die EZB für diese Liquiditätszuteilung immer auch Sicherheiten gefordert, etwa in Form von Staatsanleihen. Daher sei das Bild des „Anwerfens der Notenpresse“ unzutreffend. Um den Zugang zum Kapitalmarkt zu erleichtern, hat sie dabei die Anforderungen an die Qualität der hinterlegten Staatsanleihen sukzessive gesenkt. Die Finanzierung des griechischen Handelsbilanzdefizits sei jahrelang auch deshalb möglich gewesen, da ein Spread bestand zwischen dem Zins, den Geschäftsbanken für die Investition in Staatsanleihen erhielten und dem Refinanzierungszinssatz der EZB. Somit habe ein Anreiz zum Kapitalexport aus den Kernländern in die Peripherie bestanden. Verschlechtert habe sich die Situation erst im Jahr 2008, als der Kapitalstrom von den europäischen Kernländern in die Peripherie der Euro-Zone aufgrund größeren Misstrauens versiegte. Dies beantwortete auch die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Finanzkrise und steigenden Target-Salden. C. Pferner knüpfte hieran an, dass steigende Target-Salden Konsequenz des versiegenden Kapitalstroms seien und sieht das Problem der Target-Salden sich dann realisieren, wenn das Euro-System zusammenbricht und die deutsche Bundesbank auf unerfüllten Forderungen sitzen bliebe.

In der folgenden Diskussion werden verschiedene Gedanken zur Problematik des Leistungsbilanzdefizits genannt. I. Zeidler sieht im Target-System eine Subventionierung des deutschen Exports, während A. Penetrante Kapitalverkehrskontrollen nach ASEAN-Vorbild vorschlägt, um Ungleichgewichte in der Leistungs- und Zahlungsbilanz auszugleichen bzw. Anreize zur Entstehung von Ungleichgewichten zu reduzieren. G. Quaas entgegnet, dass dies dem Gedanken des gemeinsamen Güter- und Faktormarktes innerhalb der EU widerspräche. F. Quaas erweitert die Diskussion um die Frage, warum die Bundesbank trotz der vorgebrachten Argumente bisher nicht auf die Target-Saldenproblematik reagiert habe. A. Penetrante vermutet dahinter politische Gründe.

G. Quaas erinnert an weitere Beispiele extremer Ungleichgewichte zwischen Handelsnationen und hierbei insbesondere dem zwischen den USA und China. Aus Sicht Chinas finde hier ein massiver Kapitalexport statt, der das amerikanische Handelsbilanzdefizit finanziere. Dabei würde die chinesische Notenbank amerikanische Staatsanleihen in großem Stil kaufen. Er beschreibt weiterhin den Teilzusammenbruch Griechenlands und die Folgen der Widereinführung der Drachme. Dies könne zu einem Kapitalreimport nach Griechenland führen, da die Target-Salden auch dadurch entstanden seien, dass reiche Griechen im Zuge der Krise ihr Kapital in ihrer Meinung nach sicherere Anlageländer exportiert hätten. A. Penetrante ergänzt, dass sich für den Fall der Wiedereinführung der Drachme möglicherweise eine Parallelwährung entwickeln würde wie das Beispiel Kuba gezeigt hätte.

J. Hochscherf stellt die Frage, ob die Target-Salden tatsächlich mehr als nur ein bilanzielles Problem darstellten, da es sich bei Euro-Überweisungen innerhalb der Euro-Zone möglicherweise um Umbuchungen zwischen Notenbanken handeln könnte. Dies führt zu der Erläuterung von G. Quaas, was ein Ausstieg Griechenlands für den Wert der im Umlauf befindlichen Euro-Menge zur Folge hätte. Er bemerkt, dass die von der griechischen Notenbank in Umlauf gebrachten Euro dann keine hinterlegten Sicherheiten mehr aufwiesen. Dies würde zu einer moderaten und sich mit zeitlicher Verzögerung entwickelnden Inflation führen. Insofern stelle diese aber eine vergleichsweise geringe Belastung dar. Im Zuge dieses Diskussionspunktes wird zudem von G. Quaas der Gedanke geäußert, dass bei einem Überweisungssystem ohne Target-Buchung genauso Kapital zwischen Ländern verschoben werde. Er sieht die Problematik daher nicht in der reinen Existenz des Target-Systems, da dieses lediglich dazu da sei, vorhandene Geldbestände bei grenzüberschreitendem Handel zu verbuchen. Vielmehr liege das Problem im Leistungsbilanzdefizit der europäischen Peripherieländer begründet.

F. Quaas weist auf die politische Dimension eines Ausstiegs Griechenlands aus der Euro-Zone hin. Dies sei verbunden mit einem Austritt aus der Europäischen Union, da es derzeit keine anderweitige Auslegung der zu Grunde liegenden Verträge gäbe. Im Hinblick auf das Fazit des Autors schlage dieser vor, unter die ausufernden Target-Salden einen Schlußstrich zu ziehen und sie nicht weiter ansteigen zu lassen. G. Quaas erwägt als eine potentielle Handlungsstrategie Griechenlands, bei der Premierminister Papandreou einfach den Bankrott Griechenlands erklärt, um eine Reaktion der Euro-Gruppe zu provozieren und diesen Schlußstrich damit herbeizuführen.

 

Top 3:  In der nächsten Sitzung sollen die Gegenstimmen zum Target-Saldenproblem zu Wort kommen. Dazu ist der Aufsatz von Jens Ulbrich und Alexander Lipponer, „Salden im Zahlungsverkehrsystem – ein Problem?“ zu lesen.

 

Protokollant: Julian Hochscherf