Protokoll der 3. Sitzung
im SS 2015 am 24.04.2015
Beginn: 09.15 Uhr
Ende: 10.45 Uhr
Ort: WiFa Grimmaische Sr.
12, SR 7
Protokoll: F. Fehlberg
Anwesende: 11 Studierende; 2
Dozenten: F. und G. Quaas; 1 Protokollant: F. Fehlberg
TOP:
1.
Protokollbestätigung
2.
Diskussion der Quelle (Kapitel 1 aus Piketty: Das Kapital)
3.
Vorbereitung der nächsten Sitzung
TOP 1 – Protokollbestätigung
G.
Quaas bittet um Anmerkungen zu den bisherigen Protokollen. Es wird Kritik an
der Lesbarkeit des letzten Protokolls geübt. Die Kritik wird aufgenommen. Die
Protokolle vom 10.04. und 17.04.2015 werden von der Gruppe bestätigt.
TOP 2 – Diskussion der Quelle (Kapitel 1 aus
Piketty: Das Kapital)
a) Das „erste
grundlegende Gesetz des Kapitalismus“? – α = r × β
Das
Eingangsstatement stellt zunächst die Bedeutung von Pikettys „Gesetz“ α =
r × β zur Disposition, wobei α = Kapitaleinkommen, r = Kapitalrendite
und β = Kapital-Einkommens-Verhältnis (KEV) ist. Es werde nicht klar,
weshalb Piketty dieser Selbstverständlichkeit in Hinblick auf seine
Untersuchung der Ungleichheit einen so hohen Rang einräume. Marx habe in der
Mehrwertproduktion grundlegende Zusammenhänge der modernen Wirtschaftsweise
gesehen, die Neoklassik lege ihrer Untersuchung die Marktwirtschaft zugrunde –
Pikettys „erstes Gesetz“ wirke dagegen plump und aussagelos.
Die
Gruppe kommt überein, dass die Aussage zwar „richtig“, ihre Bedeutung aber von
Piketty übertrieben sei. So sei doch die Verteilung von Einkommen – aufgefasst
als Kapital-Arbeit-Verhältnis (KAV – Verhältnis der Kapital- zu den
Arbeitseinkommen) – nach Gesichtspunkten der gesellschaftlichen
Machtverhältnisse weitaus aussagekräftiger (Bsp. Tarifverhandlungen). Einen
Kausalzusammenhang für Ungleichheit könne Piketty mit α = r × β nicht
liefern, stelle doch die Kapitalrendite keine feste, sondern eine veränderbare
„sekundäre Größe“ dar.
Dagegen
wird eingewendet, dass Piketty mit dem Gesetz doch sehr deutlich die „treibende
Kraft“ der Wirtschaft zeige: die Kapitalrendite r. Verbunden mit der Dynamik
des KEV, dem Piketty gegenüber dem KAV grundsätzlich mehr Bedeutung zuweise,
werde dadurch die Bedeutung seiner „Gesetze“ für die Ungleichheit im Kapitalismus absehbar.
b) Piketty – ein
Neoklassiker?
Die
Frage wird laut, welches Modell den Formulierungen Pikettys zugrundegelegt
werden könnte. Die Gruppe diskutiert daher α = r × β in Verbindung
mit einer Cobb-Douglas-Produktionsfunktion an der Tafel. Die grundsätzliche
Verwandtschaft zwischen Pikettys Darstellungen und der Produktionsfunktion von
1928 wird festgestellt. Nach einigen Umformungen kommt man zum Ergebnis, dass r
> g – anders als von Piketty
suggeriert – nicht nur eine empirisch belegbare Tatsache, sondern
generell ein Bestandteil der Produktionsfunktion ist.
Die
Cobb-Douglas-Produktionsfunktion sei nun aber der Neoklassik zuzuordnen. Die
Klassiker wie auch Marx hätten eine Surplustheorie der Wirtschaft samt der Idee
einer Klassengesellschaft vertreten. Die Neoklassiker hätten dagegen
angestrebt, die Verteilung des Produkts durch die Einführung der
Grenzproduktivität von Kapital und Arbeit zu „technisieren“ und die
gesellschaftlichen Konflikte dahinter verschwinden zu lassen.
Damit
aber sei offenbar, dass Piketty mit seinen „Gesetzen“ nicht mehr als
altbekannte „neoklassische
Binsenwahrheiten“ zum Besten gebe. Die Frage laute daher eher, mit welcher
Zielsetzung er seine Erörterung mit einer Überhöhung der dargestellten
Zusammenhänge beginne. Sein Ansatzpunkt könne es vermutlich nur sein, nicht die
reale Gegebenheit, sondern die Höhe der Ungleichung r > g zum Gegenstand der
Ungleichheitsdiskussion zu machen.
c) Funktionale und
interpersonale Verteilung
Die
einfache Cobb-Douglas-Produktionsfunktion habe nur die „funktionale“ Verteilung
zwischen Kapital und Arbeit in einem Wirtschaftssystem ohne Staat und
Tarifverhandlungen zum Gegenstand. Über die gesellschaftliche Verteilung des
Produkts, letztlich also die aufgeschlüsselte „interpersonale“ Verteilung,
könne sie keine Aussage treffen.
Da
Piketty, anders als die Klassiker, das Unternehmergehalt nun überwiegend zu den
Arbeitseinkommen schlage, könne er nicht wie Marx von Klassenkonflikten
sprechen. Es komme im weiteren Verlauf der Quelle darauf an, inwieweit Piketty
die funktionale in eine interpersonale Verteilung überführen könne und an
welchen Punkten er dabei Ungleichheit feststelle. Konkret: Wie kann Piketty das
KEV, das für ihn aussagekräftiger als das KAV ist, hinsichtlich der
Ungleichverteilung des Vermögens und deren Auswirkungen qualifizieren (vgl.
Protokoll v. 17.04. 2015, 3c)?
d) Warum ist
Ungleichheit überhaupt problematisch?
Zunächst
sei Pikettys Feststellung rein positiv und nicht normativ, Ungleichheit sei für
ihn nichts grundsätzlich Schlechtes. Doch habe Ungleichheit soziale Wirkungen,
die in Wachstumsmodellen nicht zum Ausdruck kämen. Der Mensch „lebe relativ“,
vergleiche seine soziale Situation mit anderen. Außerdem nehme mit dem Reichtum
einiger Weniger auch deren Macht zu, während die übrigen mehr und mehr ihrer
Willkür ausgeliefert seien.
Die
Diskussion kommt auch auf die Staatsform: Demokratie und Rechtsstaat seien
schön und gut, könnten jedoch die Ungleichverteilung mit den besagten Folgen
nicht gänzlich kontrollieren. Zuweilen erscheine eine „Wohlstandsdiktatur“ mit
einem Kapitalbesitzer, der die Rendite für das Wohl aller einsetze,
vernünftiger. Dass eine ausgeglichenere Verteilung relativ auch unter
demokratischen Staaten möglich sei, zeige die Entwicklung in Skandinavien. Auf
jeden Fall müsse die Politik an den materiellen Machtverhältnissen arbeiten, um
die Ungleichheit nicht überhand nehmen zu lassen.
e) Ansatzpunkte einer
Verteilungspolitik
Piketty
habe es offensichtlich nicht auf die Primärverteilung der Einkommen – also
unter der Beachtung des KAV – abgesehen. Auch die systematisch ungleiche
Vermögensverteilung ließe er völlig intakt. Er konzentriere sich lediglich auf
die Sekundärverteilung, also die „Umverteilung“ über Steuern und Sozialabgaben.
Dem stehe entgegen, dass sich die Einkommensverteilung aber aus der
Vermögensverteilung ergebe. Die Frage, welche der beiden Verteilungen im
Hinblick auf Ungleichheit die ausschlaggebende sei, kann zunächst nicht geklärt
werden.
Eine
Folge der ungleichen Einkommensverteilung sei z.B. die unterschiedlich starke
„Konsumneigung“ etwa von Arbeitnehmern und Unternehmern. Wieder wird anhand der
Einkommensverteilung die Rolle der Sparquote für die Ungleichheit der Vermögen
erörtert: „Reiche“ könnten mehr sparen als „Arme“ und würden daher auch
schneller größere Vermögen anhäufen, die wiederum höhere individuelle Renditen
abwürfen und damit eine höhere Sparquote ermöglichten.
f) Der Begriff des
„Humankapitals“
Pikettys
Ablehnung des Konzepts vom „Humankapital“ trifft auf breite Zustimmung.
Humankapital wie Kenntnisse und Fähigkeiten übertrüge nicht in dem Maße seinen
Wert auf das Produkt, wie das bei Kapital der Fall sei. Auch sei sein
Verschleißwert etwa gegenüber Maschinen etc. sehr viel höher. Humankapital
müsse ständig „gefüttert“ werden. „Humankapital“ sei letztlich nur ein
Euphemismus, mit dem die Neoklassik den Konflikt zwischen Arbeitnehmer und
Unternehmer verdingliche und damit verschleiere.
Doch
scheine sich Piketty – als neoklassisch geprägter Ökonom – doch nicht ganz frei
von den Implikationen des „Humankapitals“ machen zu können. Er lehne zwar
dessen Subsummierung unter das Kapital ab, aber er offenbare in seiner
Herangehensweise letztlich doch eine entschieden „kapitalzentrierte“ Sicht auf
Gesellschaft und Wirtschaft (z.B. in der Bewertung des KEV bzw. der
Kapitalrendite). Beinahe ausschließlich sei es für ihn die abstrakte „Bildung“,
welche die Ungleichheit zurückdrängen könne: nichts anderes also, als die
Beförderung des Humankapitals, wie es von neoklassischen Ökonomen in Hinsicht
auf ein Wohlstandswachstum für alle auch immer wieder gefordert werde.
Dabei
sei letztlich gar nicht klar, welcher Kausalrichtung der Zusammenhang
Bildung/Ungleichheit folge: Bringe breite und gute Bildung mehr materielle
Gleichheit oder könne nur die breite Sicherung der materiellen Bedürfnisse
bessere Bildung bringen. Letztlich seien solche Fragen selbst für Piketty nicht
allein aus einem ökonomischen Modell heraus zu klären. Er vertrete zur
Umsetzung einer besseren Bildungspolitik einen starken („französischen“)
Staatsbegriff mit dem Schwerpunkt der Sekundärverteilung durch Steuern – was
wiederum nicht unbedingt als neoklassisch gelten kann.
TOP 3 – Vorbereitung der nächsten Sitzung
Die
Lesegeschwindigkeit der Gruppe soll im Seminarverlauf wenn möglich beschleunigt
werden. Diskutiert wird auch die Möglichkeit, auf ausgewählte Textteile zu
verzichten. Ziel der Gruppe soll es dennoch bleiben, das Seminar mit einem
möglichst geschlossenen Bild von Pikettys Darlegungen zu beenden.
Die
Diskussion zur Quelle der 3. Sitzung wird als abgeschlossen betrachtet. Bis zur
nächsten Sitzung am 08.05.2015 sollen aufgrund des Seminarausfalls am Tag der
Arbeit das 2. und 3. Kapitel aus
Pikettys „Kapital“ gelesen werden.